Kant: AA VIII, Zum ewigen Frieden. Ein ... , Seite 358

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 das Recht eines Fremdlings, seiner Ankunft auf dem Boden eines      
  02 andern wegen von diesem nicht feindselig behandelt zu werden. Dieser      
  03 kann ihn abweisen, wenn es ohne seinen Untergang geschehen kann, so      
  04 lange er aber auf seinem Platz sich friedlich verhält, ihm nicht feindlich      
  05 begegnen. Es ist kein Gastrecht, worauf dieser Anspruch machen kann      
  06 (wozu ein besonderer wohlthätiger Vertrag erfordert werden würde, ihn      
  07 auf eine gewisse Zeit zum Hausgenossen zu machen), sondern ein Besuchsrecht,      
  08 welches allen Menschen zusteht, sich zur Gesellschaft anzubieten      
  09 vermöge des Rechts des gemeinschaftlichen Besitzes der Oberfläche      
  10 der Erde, auf der als Kugelfläche sie sich nicht ins Unendliche zerstreuen      
  11 können, sondern endlich sich doch neben einander dulden müssen, ursprünglich      
  12 aber niemand an einem Orte der Erde zu sein mehr Recht hat,      
  13 als der Andere. - Unbewohnbare Theile dieser Oberfläche, das Meer und      
  14 die Sandwüsten, trennen diese Gemeinschaft, doch so, daß das Schiff,      
  15 oder das Kameel (das Schiff der Wüste) es möglich machen, über diese      
  16 herrenlose Gegenden sich einander zu nähern und das Recht der Oberfläche,      
  17 welches der Menschengattung gemeinschaftlich zukommt, zu einem      
  18 möglichen Verkehr zu benutzen. Die Unwirthbarkeit der Seeküsten (z. B.      
  19 der Barbaresken), Schiffe in nahen Meeren zu rauben, oder gestrandete      
  20 Schiffsleute zu Sklaven zu machen, oder die der Sandwüsten (der arabischen      
  21 Beduinen), die Annäherung zu den nomadischen Stämmen als ein      
  22 Recht anzusehen, sie zu plündern, ist also dem Naturrecht zuwider, welches      
  23 Hospitalitätsrecht aber, d. i. die Befugniß der fremden Ankömmlinge, sich      
  24 nicht weiter erstreckt, als auf die Bedingungen der Möglichkeit, einen Verkehr      
  25 mit den alten Einwohnern zu versuchen. - Auf diese Art können entfernte      
  26 Welttheile mit einander friedlich in Verhältnisse kommen, die zuletzt      
  27 öffentlich gesetzlich werden und so das menschliche Geschlecht endlich      
  28 einer weltbürgerlichen Verfassung immer näher bringen können.      
           
  29 Vergleicht man hiemit das inhospitale Betragen der gesitteten,      
  30 vornehmlich handeltreibenden Staaten unseres Welttheils, so geht die      
  31 Ungerechtigkeit, die sie in dem Besuche fremder Länder und Völker      
  32 (welches ihnen mit dem Erobern derselben für einerlei gilt) beweisen,      
  33 bis zum Erschrecken weit. Amerika, die Negerländer, die Gewürzinseln,      
  34 das Cap etc. waren bei ihrer Entdeckung für sie Länder, die keinem angehörten;      
  35 denn die Einwohner rechneten sie für nichts. In Ostindien (Hindustan)      
  36 brachten sie unter dem Vorwande blos beabsichtigter Handelsniederlagen      
  37 fremde Kriegesvölker hinein, mit ihnen aber Unterdrückung      
           
     

[ Seite 357 ] [ Seite 359 ] [ Inhaltsverzeichnis ]