Kant: AA VIII, Über das Mißlingen ... , Seite 255

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Unter einer Theodicee versteht man die Vertheidigung der höchsten      
  02 Weisheit des Welturhebers gegen die Anklage, welche die Vernunft aus      
  03 dem Zweckwidrigen in der Welt gegen jene erhebt. - Man nennt dieses,      
  04 die Sache Gottes verfechten; ob es gleich im Grunde nichts mehr als die      
  05 Sache unserer anmaßenden, hiebei aber ihre Schranken verkennenden      
  06 Vernunft sein möchte, welche zwar nicht eben die beste Sache ist, insofern      
  07 aber doch gebilligt werden kann, als (jenen Eigendünkel bei Seite gesetzt)      
  08 der Mensch als ein vernünftiges Wesen berechtigt ist, alle Behauptungen,      
  09 alle Lehre, welche ihm Achtung auferlegt, zu prüfen, ehe er sich ihr unterwirft,      
  10 damit diese Achtung aufrichtig und nicht erheuchelt sei.      
           
  11 Zu dieser Rechtfertigung wird nun erfordert, daß der vermeintliche      
  12 Sachwalter Gottes entweder beweise: daß das, was wir in der Welt      
  13 als zweckwidrig beurtheilen, es nicht sei; oder: daß, wenn es auch dergleichen      
  14 wäre, es doch gar nicht als Factum, sondern als unvermeidliche      
  15 Folge aus der Natur der Dinge beurtheilt werden müsse; oder endlich:      
  16 daß es wenigstens nicht als Factum des höchsten Urhebers aller Dinge,      
  17 sondern bloß der Weltwesen, denen etwas zugerechnet werden kann, d. i.      
  18 der Menschen, (allenfalls auch höherer, guter oder böser, geistiger Wesen)      
  19 angesehen werden müsse.      
           
  20 Der Verfasser einer Theodicee willigt also ein, daß dieser Rechtshandel      
  21 vor dem Gerichtshofe der Vernunft anhängig gemacht werde, und      
  22 macht sich anheischig, den angeklagten Theil als Sachwalter durch förmliche      
  23 Widerlegung aller Beschwerden des Gegners zu vertreten: darf      
  24 letztern also während des Rechtsganges nicht durch einen Machtspruch      
  25 der Unstatthaftigkeit des Gerichtshofes der menschlichen Vernunft ( exceptionem      
  26 fori ) abweisen, d. i. die Beschwerden nicht durch ein dem Gegner      
  27 auferlegtes Zugeständniß der höchsten Weisheit des Welturhebers, welches      
  28 sofort alle Zweifel, die sich dagegen regen möchten, auch ohne Untersuchung      
  29 für grundlos erklärt, abfertigen; sondern muß sich auf die Einwürfe einlassen      
           
     

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