Kant: AA VIII, Muthmaßlicher Anfang der ... , Seite 120

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 einen Menschen (Obrigkeit) zum Herrn haben (VI, 4)*), umschwärmten      
  02 und als abgesagte Feinde alles Landeigenthums diese anfeindeten und      
  03 von diesen wieder gehaßt wurden, war zwar continuirlicher Krieg zwischen      
  04 beiden, wenigstens unaufhörliche Kriegsgefahr, und beiderseitige Völker      
  05 konnten daher im Inneren wenigstens des unschätzbaren Guts der Freiheit      
  06 froh werden - (denn Kriegsgefahr ist auch noch jetzt das einzige, was      
  07 den Despotismus mäßigt: weil Reichthum dazu erfordert wird, daß ein      
  08 Staat jetzt eine Macht sei, ohne Freiheit aber keine Betriebsamkeit, die      
  09 Reichthum hervorbringen könnte, statt findet. In einem armen Volke      
  10 muß an dessen Stelle große Theilnehmung an der Erhaltung des gemeinen      
  11 Wesens angetroffen werden, welche wiederum nicht anders, als wenn es      
  12 sich darin frei fühlt, möglich ist). - Mit der Zeit aber mußte denn      
  13 doch der anhebende Luxus der Städtebewohner, vornehmlich aber die      
  14 Kunst zu gefallen, wodurch die städtischen Weiber die schmutzigen Dirnen      
  15 der Wüsten verdunkelten, eine mächtige Lockspeise für jene Hirten sein      
  16 (V. 2), in Verbindung mit diesen zu treten und sich in das glänzende      
  17 Elend der Städte ziehen zu lassen. Da denn durch Zusammenschmelzung      
  18 zweier sonst einander feindseligen Völkerschaften mit dem Ende aller Kriegsgefahr      
  19 zugleich das Ende aller Freiheit, also der Despotismus mächtiger      
  20 Tyrannen einerseits, bei kaum noch angefangener Cultur aber seelenlose      
  21 Üppigkeit in verworfenster Sklaverei, mit allen Lastern des rohen Zustandes      
  22 vermischt, andrerseits das menschliche Geschlecht von dem ihm durch die      
  23 Natur vorgezeichneten Fortgange der Ausbildung seiner Anlagen zum      
  24 Guten unwiderstehlich abbrachte; und es dadurch selbst seiner Existenz, als      
  25 einer über die Erde zu herrschen, nicht viehisch zu genießen und sklavisch      
  26 zu dienen bestimmten Gattung, unwürdig machte (V. 17).      
           
  27
Schluß=Anmerkung.
     
           
  28 Der denkende Mensch fühlt einen Kummer, der wohl gar Sittenverderbni      
  29 werden kann, von welchem der Gedankenlose nichts weiß:      
  30 nämlich Unzufriedenheit mit der Vorsehung, die den Weltlauf im Ganzen      
           
    *) Die arabischen Beduinen nennen sich noch Kinder eines ehemaligen Schechs, des Stifters ihres Stammes (als Beni Haled u. d. gl.). Dieser ist keinesweges Herr über sie und kann nach seinem Kopfe keine Gewalt an ihnen ausüben. Denn in einem Hirtenvolke, da niemand liegendes Eigenthum hat, welches er zurücklassen müßte, kann jede Familie, der es da mißfällt, sich sehr leicht vom Stamme absondern, um einen andern zu verstärken.      
           
     

[ Seite 119 ] [ Seite 121 ] [ Inhaltsverzeichnis ]