Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 146 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
VerknüPfungen:
|
|
||||
01 | Rechtfertigung der Sinnlichkeit wider die |
||||||
02 | Dritte Anklage. |
||||||
03 | § 11. Die Sinne betrügen nicht. Dieser Satz ist die Ablehnung | ||||||
04 | des wichtigsten, aber auch, genau erwogen, nichtigsten Vorwurfs, den man | ||||||
05 | den Sinnen macht; und dieses darum, nicht weil sie immer richtig urtheilen, | ||||||
06 | sondern weil sie gar nicht urtheilen; weshalb der Irrthum immer | ||||||
07 | nur dem Verstande zur Last fällt. - Doch gereicht diesem der Sinnenschein | ||||||
08 | ( Species, apparentia ), wenn gleich nicht zur Rechtfertigung, doch zur | ||||||
09 | Entschuldigung; wonach der Mensch öfters in den Fall kommt, das Subjective | ||||||
10 | seiner Vorstellungsart für das Objective (den entfernten Thurm, | ||||||
11 | an dem er keine Ecken sieht, für rund, das Meer, dessen entfernter Theil | ||||||
12 | ihm durch höhere Lichtstrahlen ins Auge fällt, für höher als das Ufer | ||||||
13 | ( altum mare ), den Vollmond, den er in seinem Aufgange am Horizont | ||||||
14 | durch eine dunstige Luft sieht, obzwar er ihn durch denselben Sehwinkel | ||||||
15 | ins Auge faßt, für entfernter, also auch für größer, als wie er hoch am | ||||||
16 | Himmel erscheint) und so Erscheinung für Erfahrung zu halten; dadurch | ||||||
17 | aber in Irrthum, als einen Fehler des Verstandes, nicht den der | ||||||
18 | Sinne, zu gerathen. | ||||||
19 | Ein Tadel, den die Logik der Sinnlichkeit entgegen wirft, ist der: | ||||||
20 | daß man dem Erkenntniß, so wie es durch sie befördert wird, Seichtigkeit | ||||||
21 | (Individualität, Einschränkung aufs Einzelne) vorwirft, da hingegen | ||||||
22 | den Verstand, der aufs Allgemeine geht, eben darum aber zu Abstractionen | ||||||
23 | sich bequemen muß, der Vorwurf der Trockenheit trifft. Die ästhetische | ||||||
24 | Behandlung, deren erste Forderung Popularität ist, schlägt aber einen | ||||||
25 | Weg ein, auf dem beiden Fehlern ausgebeugt werden kann. | ||||||
26 | Vom Können in Ansehung des Erkenntnißvermögens |
[ entsprechender Abschnitt in den Reflexionen zur Antropologie (AA XV, 096) ] | |||||
27 | überhaupt. |
||||||
28 | § 12. Der vorhergehende Paragraph, der vom Scheinvermögen handelte | ||||||
29 | in dem, was kein Mensch kann, führt uns zur Erörterung der Begriffe | ||||||
30 | vom Leichten und Schweren ( leve et grave ), welche dem Buchstaben | ||||||
31 | nach im Deutschen zwar nur körperliche Beschaffenheiten und Kräfte | ||||||
32 | bedeuten, dann aber wie im Lateinischen nach einer gewissen Analogie das | ||||||
[ Seite 145 ] [ Seite 147 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |