Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 466

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 doch angemerkt worden sein: daß der Hochmüthige jederzeit im Grunde      
  02 seiner Seele niederträchtig ist. Denn er würde Anderen nicht ansinnen,      
  03 sich selbst in Vergleichung mit ihm gering zu halten, fände er nicht bei      
  04 sich, daß, wenn ihm das Glück umschlüge, er es gar nicht hart finden      
  05 würde, nun seinerseits auch zu kriechen und auf alle Achtung Anderer      
  06 Verzicht zu thun.      
           
  07
B.
     
  08
Das Afterreden.
     
           
  09
§ 43.
     
           
  10 Die übele Nachrede ( obtrectatio ) oder das Afterreden, worunter ich      
  11 nicht die Verleumdung ( contumelia ), eine falsche, vor Recht zu ziehende      
  12 Nachrede, sondern blos die unmittelbare, auf keine besondere Absicht      
  13 angelegte Neigung verstehe, etwas der Achtung für andere nachtheiliges      
  14 ins Gerücht zu bringen, ist der schuldigen Achtung gegen die Menschheit      
  15 überhaupt zuwider: weil jedes gegebene Skandal diese Achtung, auf welcher      
  16 doch der Antrieb zum Sittlichguten beruht, schwächt und so viel möglich      
  17 gegen sie ungläubisch macht.      
           
  18 Die geflissentliche Verbreitung ( propalatio ) desjenigen die Ehre      
  19 eines Andern Schmälernden, was auch nicht zur öffentlichen Gerichtbarkeit      
  20 gehört, es mag übrigens auch wahr sein, ist Verringerung der Achtung      
  21 für die Menschheit überhaupt, um endlich auf unsere Gattung selbst den      
  22 Schatten der Nichtswürdigkeit zu werfen und Misanthropie (Menschenscheu)      
  23 oder Verachtung zur herrschenden Denkungsart zu machen, oder      
  24 sein moralisches Gefühl durch den öfteren Anblick derselben abzustumpfen      
  25 und sich daran zu gewöhnen. Es ist also Tugendpflicht, statt einer hämischen      
  26 Lust an der Blosstellung der Fehler Anderer, um sich dadurch die      
  27 Meinung, gut, wenigstens nicht schlechter als alle andere Menschen zu      
  28 sein, zu sicheren, den Schleier der Menschenliebe nicht blos durch Milderung      
  29 unserer Urtheile, sondern auch durch Verschweigung derselben über      
  30 die Fehler Anderer zu werfen: weil Beispiele der Achtung, welche uns andere      
  31 geben, auch die Bestrebung rege machen können sie gleichmäßig zu      
  32 verdienen. - Um deswillen ist die Ausspähungssucht der Sitten Anderer      
  33 ( allotrio-episcopia ) auch für sich selbst schon ein beleidigender Vorwitz der      
  34 Menschenkunde, welchem jedermann sich mit Recht als Verletzung der ihm      
  35 schuldigen Achtung widersetzen kann.      
           
           
     

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