Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 462

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
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Zweiter Abschnitt.

     
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Von den Tugendpflichten gegen andere Menschen aus der

     
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ihnen gebührenden Achtung.

     
           
  04
§ 37.
     
           
  05 Mäßigung in Ansprüchen überhaupt, d. i. freiwillige Einschränkung      
  06 der Selbstliebe eines Menschen durch die Selbstliebe Anderer, heißt      
  07 Bescheidenheit; der Mangel dieser Mäßigung (Unbescheidenheit) in      
  08 Ansehung der Würdigkeit von Anderen geliebt zu werden die Eigenliebe      
  09 ( philautia ). Die Unbescheidenheit der Forderung aber, von Anderen      
  10 geachtet zu werden, ist der Eigendünkel ( arrogantia ). Achtung,      
  11 die ich für andere trage, oder die ein Anderer von mir fordern kann      
  12 ( observantia aliis praestanda ), ist also die Anerkennung einer Würde      
  13 ( dignitas ) an anderen Menschen, d. i. eines Werths, der keinen Preis hat,      
  14 kein Äquivalent, wogegen das Object der Werthschätzung ( aestimii ) ausgetauscht      
  15 werden könnte. - Die Beurtheilung eines Dinges als eines      
  16 solchen, das keinen Werth hat, ist die Verachtung.      
           
  17
§ 38.
     
           
  18 Ein jeder Mensch hat rechtmäßigen Anspruch auf Achtung von seinen      
  19 Nebenmenschen, und wechselseitig ist er dazu auch gegen jeden Anderen      
  20 verbunden.      
           
  21 Die Menschheit selbst ist eine Würde; denn der Mensch kann von      
  22 keinem Menschen (weder von Anderen noch sogar von sich selbst) blos als      
  23 Mittel, sondern muß jederzeit zugleich als Zweck gebraucht werden, und      
  24 darin besteht eben seine Würde (die Persönlichkeit), dadurch er sich über      
  25 alle andere Weltwesen, die nicht Menschen sind und doch gebraucht werden      
  26 können, mithin über alle Sachen erhebt. Gleichwie er also sich selbst für      
  27 keinen Preis weggeben kann (welches der Pflicht der Selbstschätzung widerstreiten      
  28 würde), so kann er auch nicht der eben so nothwendigen Selbstschätzung      
  29 Anderer als Menschen entgegen handeln, d. i. er ist verbunden,      
  30 die Würde der Menschheit an jedem anderen Menschen praktisch anzuerkennen,      
  31 mithin ruht auf ihm eine Pflicht, die sich auf die jedem anderen      
  32 Menschen nothwendig zu erzeigende Achtung bezieht.      
           
           
     

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