Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 220

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 gegeben an. Also nicht in der Ethik, sondern im Ius liegt die Gesetzgebung,      
  02 daß angenommene Versprechen gehalten werden müssen. Die Ethik lehrt      
  03 hernach nur, daß, wenn die Triebfeder, welche die juridische Gesetzgebung      
  04 mit jener Pflicht verbindet, nämlich der äußere Zwang, auch weggelassen      
  05 wird, die Idee der Pflicht allein schon zur Triebfeder hinreichend sei.      
  06 Denn wäre das nicht und die Gesetzgebung selber nicht juridisch, mithin      
  07 die aus ihr entspringende Pflicht nicht eigentliche Rechtspflicht (zum Unterschiede      
  08 von der Tugendpflicht), so würde man die Leistung der Treue      
  09 (gemäß seinem Versprechen in einem Vertrage) mit den Handlungen des      
  10 Wohlwollens und der Verpflichtung zu ihnen in eine Classe setzen, welches      
  11 durchaus nicht geschehen muß. Es ist keine Tugendpflicht, sein Versprechen      
  12 zu halten, sondern eine Rechtspflicht, zu deren Leistung man gezwungen      
  13 werden kann. Aber es ist doch eine tugendhafte Handlung (Beweis der      
  14 Tugend), es auch da zu thun, wo kein Zwang besorgt werden darf.      
  15 Rechtslehre und Tugendlehre unterscheiden sich also nicht sowohl durch      
  16 ihre verschiedene Pflichten, als vielmehr durch die Verschiedenheit der Gesetzgebung,      
  17 welche die eine oder die andere Triebfeder mit dem Gesetze verbindet.      
           
  19 Die ethische Gesetzgebung (die Pflichten mögen allenfalls auch äußere      
  20 sein) ist diejenige, welche nicht äußerlich sein kann; die juridische ist,      
  21 welche auch äußerlich sein kann. So ist es eine äußerliche Pflicht, sein      
  22 vertragsmäßiges Versprechen zu halten; aber das Gebot, dieses blos      
  23 darum zu thun, weil es Pflicht ist, ohne auf eine andere Triebfeder Rücksicht      
  24 zu nehmen, ist blos zur innern Gesetzgebung gehörig. Also nicht      
  25 als besondere Art von Pflicht (eine besondere Art Handlungen, zu denen      
  26 man verbunden ist) - denn es ist in der Ethik sowohl als im Rechte eine      
  27 äußere Pflicht, - sondern weil die Gesetzgebung im angeführten Falle      
  28 eine innere ist und keinen äußeren Gesetzgeber haben kann, wird die Verbindlichkeit      
  29 zur Ethik gezählt. Aus eben dem Grunde werden die Pflichten      
  30 des Wohlwollens, ob sie gleich äußere Pflichten (Verbindlichkeiten zu äußeren      
  31 Handlungen) sind, doch zur Ethik gezählt, weil ihre Gesetzgebung nur      
  32 innerlich sein kann. - Die Ethik hat freilich auch ihre besondern Pflichten      
  33 (z. B. die gegen sich selbst), aber hat doch auch mit dem Rechte Pflichten,      
  34 aber nur nicht die Art der Verpflichtung gemein. Denn Handlungen      
  35 blos darum, weil es Pflichten sind, ausüben und den Grundsatz      
  36 der Pflicht selbst, woher sie auch komme, zur hinreichenden Triebfeder der      
  37 Willkür zu machen, ist das Eigenthümliche der ethischen Gesetzgebung.      
           
     

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