Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 063

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 ihn geschehen sein müßten, zur Beglaubigung fordert: der bekennt zugleich      
  02 hierdurch seinen moralischen Unglauben, nämlich den Mangel des      
  03 Glaubens an die Tugend, den kein auf Beweise durch Wunder gegründeter      
  04 Glaube (der nur historisch ist) ersetzen kann; weil nur der Glaube an      
  05 die praktische Gültigkeit jener Idee, die in unserer Vernunft liegt, (welche      
  06 auch allein allenfalls die Wunder als solche, die vom guten Princip herkommen      
  07 möchten, bewähren, aber nicht von diesen ihre Bewährung entlehnen      
  08 kann) moralischen Werth hat.      
           
  09 Eben darum muß auch eine Erfahrung möglich sein, in der das Beispiel      
  10 von einem solchen Menschen gegeben werde (so weit als man von      
  11 einer äußeren Erfahrung überhaupt Beweisthümer der innern sittlichen      
  12 Gesinnung erwarten und verlangen kann); denn dem Gesetz nach sollte      
  13 billig ein jeder Mensch ein Beispiel zu dieser Idee an sich abgeben; wozu      
  14 das Urbild immer nur in der Vernunft bleibt: weil ihr kein Beispiel in      
  15 der äußern Erfahrung adäquat ist, als welche das Innere der Gesinnung      
  16 nicht aufdeckt, sondern darauf, obzwar nicht mit strenger Gewißheit, nur      
  17 schließen läßt (ja selbst die innere Erfahrung des Menschen an ihm selbst      
  18 läßt ihn die tiefen seines Herzens nicht so durchschauen, daß er von dem      
  19 Grunde seiner Maximen, zu denen er sich bekennt, und von ihrer Lauterkeit      
  20 und Festigkeit durch Selbstbeobachtung ganz sichere Kenntniß erlangen      
  21 könnte).      
           
  22 Wäre nun ein solcher wahrhaftig göttlich gesinnter Mensch zu einer      
  23 gewissen Zeit gleichsam vom Himmel auf die Erde herabgekommen, der      
  24 durch Lehre, Lebenswandel und Leiden das Beispiel eines Gott wohlgefälligen      
  25 Menschen an sich gegeben hätte, so weit als man von äußerer      
  26 Erfahrung nur verlangen kann (indessen daß das Urbild eines solchen      
  27 immer doch nirgend anders, als in unserer Vernunft zu suchen ist), hätte      
  28 er durch alles dieses ein unabsehlich großes moralisches Gute in der Welt      
  29 durch eine Revolution im Menschengeschlechte hervorgebracht: so würden      
  30 wir doch nicht Ursache haben, an ihm etwas anders, als einen natürlich      
  31 gezeugten Menschen anzunehmen (weil dieser sich doch auch verbunden      
  32 fühlt, selbst ein solches Beispiel an sich abzugeben), obzwar dadurch      
  33 eben nicht schlechthin verneint würde, daß er nicht auch wohl ein      
  34 übernatürlich erzeugter Mensch sein könne. Denn in praktischer Absicht      
  35 kann die Voraussetzung des Letztern uns doch nichts vortheilen: weil das      
  36 Urbild, welches wir dieser Erscheinung unterlegen, doch immer in uns      
  37 (obwohl natürlichen Menschen) selbst gesucht werden muß, dessen Dasein      
           
     

[ Seite 062 ] [ Seite 064 ] [ Inhaltsverzeichnis ]