Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 003

     
           
 

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Vorrede

[ I. Kant: Vorarbeiten zur Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft -- Vorredeentwurf zur zweiten Auflage, (AA XXIII, 089) ]    
  02

zur ersten Auflage.

   
           
  03 Die Moral, so fern sie auf dem Begriffe des Menschen als eines      
  04 freien, eben darum aber auch sich selbst durch seine Vernunft an unbedingte      
  05 Gesetze bindenden Wesens gegründet ist, bedarf weder der Idee      
  06 eines andern Wesens über ihm, um seine Pflicht zu erkennen, noch einer      
  07 andern Triebfeder als des Gesetzes selbst, um sie zu beobachten. Wenigstens      
  08 ist es seine eigene Schuld, wenn sich ein solches Bedürfniß an ihm      
  09 vorfindet, dem aber alsdann auch durch nichts anders abgeholfen werden      
  10 kann: weil, was nicht aus ihm selbst und seiner Freiheit entspringt, keinen      
  11 Ersatz für den Mangel seiner Moralität abgiebt. - Sie bedarf also zum      
  12 Behuf ihrer selbst (sowohl objectiv, was das Wollen, als subjectiv, was      
  13 das Können betrifft) keinesweges der Religion, sondern Vermöge der reinen      
  14 praktischen Vernunft ist sie sich selbst genug. - Denn da ihre Gesetze durch      
  15 die bloße Form der allgemeinen Gesetzmäßigkeit der darnach zu nehmenden      
  16 Maximen, als oberster (selbst unbedingter) Bedingung aller Zwecke,      
  17 verbinden: so bedarf sie überhaupt gar keines materialen Bestimmungsgrundes      
  18 der freien Willkür*), das ist keines Zwecks, weder um, was Pflicht      
           
    *) Diejenigen, denen der bloß formale Bestimmungsgrund (der Gesetzlichkeit) überhaupt im Begriff der Pflicht zum Bestimmungsgrunde nicht gnügen will, gestehen dann doch, daß dieser nicht in der auf eigenes Wohlbehagen gerichteten Selbstliebe angetroffen werden könne. Da bleiben aber alsdann nur zwei Bestimmungsgründe übrig, einer, der rational ist, nämlich eigene Vollkommenheit, und ein anderer, der empirisch ist, fremde Glückseligkeit. - Wenn sie nun unter der erstern nicht schon die moralische, die nur eine einzige sein kann, verstehen (nämlich einen dem Gesetze unbedingt gehorchenden Willen), wobei sie aber im Zirkel [Seitenumbruch] erklären würden, so müßten sie die Naturvollkommenheit des Menschen, sofern sie einer Erhöhung fähig ist, und deren es viel geben kann (als Geschicklichkeit in Künsten und Wissenschaften, Geschmack, Gewandtheit des Körpers u. d. g.), meinen. Dies ist aber jederzeit nur bedingter Weise gut, das ist, nur unter der Bedingung, daß ihr Gebrauch dem moralischen Gesetze (welches allein unbedingt gebietet) nicht widerstreite; also kann sie, zum Zweck gemacht, nicht Princip der Pflichtbegriffe sein. Eben dasselbe gilt auch von dem auf Glückseligkeit anderer Menschen gerichteten Zwecke. Denn eine Handlung muß zuvor an sich selbst nach dem moralischen Gesetze abgewogen werden, ehe sie auf die Glückseligkeit anderer gerichtet wird. Dieser ihre Beförderung ist also nur bedingter Weise Pflicht und kann nicht zum obersten Princip moralischer Maximen dienen.      
           
     

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