Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 386 |
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| 01 | in der Erfahrung, um vermittelst derselben zu Begriffen zu gelangen, | ||||||
| 02 | sollten diese auch Vernunftbegriffe sein; wenn sie solcher durchaus | ||||||
| 03 | Bedarf, um die Natur nach ihren empirischen Gesetzen bloß kennen zu | ||||||
| 04 | lernen. - Zwischen diesen nothwendigen Maximen der reflectirenden | ||||||
| 05 | Urtheilskraft kann nun ein Widerstreit, mithin eine Antinomie Statt | ||||||
| 06 | finden, worauf sich eine Dialektik gründet, die, wenn jede von zwei einander | ||||||
| 07 | widerstreitenden Maximen in der Natur der Erkenntnißvermögen | ||||||
| 08 | ihren Grund hat, eine natürliche Dialektik genannt werden kann und ein | ||||||
| 09 | unvermeidlicher Schein, den man in der Kritik entblößen und auflösen | ||||||
| 10 | muß, damit er nicht betrüge. | ||||||
| 11 | § 70. |
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| 12 | Vorstellung dieser Antinomie. |
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| 13 | So fern die Vernunft es mit der Natur als Inbegriff der Gegenstände | ||||||
| 14 | äußerer Sinne zu thun hat, kann sie sich auf Gesetze gründen, die | ||||||
| 15 | der Verstand theils selbst a priori der Natur vorschreibt, theils durch die | ||||||
| 16 | in der Erfahrung vorkommenden empirischen Bestimmungen ins Unabsehliche | ||||||
| 17 | erweitern kann. Zur Anwendung der erstern Art von Gesetzen, | ||||||
| 18 | nämlich der allgemeinen der materiellen Natur überhaupt, braucht die | ||||||
| 19 | Urtheilskraft kein besonderes Princip der Reflexion; denn da ist sie bestimmend, | ||||||
| 20 | weil ihr ein objectives Princip durch den Verstand gegeben | ||||||
| 21 | ist. Aber was die besondern Gesetze betrifft, die uns nur durch Erfahrung | ||||||
| 22 | kund werden können, so kann unter ihnen eine so große Mannigfaltigkeit | ||||||
| 23 | und Ungleichartigkeit sein, daß die Urtheilskraft sich selbst zum Princip | ||||||
| 24 | dienen muß, um auch nur in den Erscheinungen der Natur nach einem | ||||||
| 25 | Gesetze zu forschen und es auszuspähen, indem sie ein solches zum Leitfaden | ||||||
| 26 | bedarf, wenn sie ein zusammenhängendes Erfahrungserkenntniß | ||||||
| 27 | nach einer durchgängigen Gesetzmäßigkeit der Natur, die Einheit derselben | ||||||
| 28 | nach empirischen Gesetzen, auch nur hoffen soll. Bei dieser zufälligen | ||||||
| 29 | Einheit der besonderen Gesetze kann es sich nun zutragen: daß | ||||||
| 30 | die Urtheilskraft in ihrer Reflexion von zwei Maximen ausgeht, deren | ||||||
| 31 | eine ihr der bloße Verstand a priori an die Hand giebt; die andere aber | ||||||
| 32 | durch besondere Erfahrungen veranlaßt wird, welche die Vernunft ins | ||||||
| 33 | Spiel bringen, um nach einem besondern Princip die Beurtheilung der | ||||||
| 34 | körperlichen Natur und ihrer Gesetze anzustellen. Da trifft es sich dann, | ||||||
| 35 | daß diese zweierlei Maximen nicht wohl neben einander bestehen zu | ||||||
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