Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 379 |
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01 | führt nun nothwendig auf die Idee der gesammten Natur als eines | ||||||
02 | Systems nach der Regel der Zwecke, welcher Idee nun aller Mechanism | ||||||
03 | der Natur nach Principien der Vernunft (wenigstens um daran die | ||||||
04 | Naturerscheinung zu versuchen) untergeordnet werden muß. Das Princip | ||||||
05 | der Vernunft ist ihr als nur subjectiv, d. i. als Maxime, zuständig: alles | ||||||
06 | in der Welt ist irgend wozu gut; nichts ist in ihr umsonst; und man ist | ||||||
07 | durch das Beispiel, das die Natur an ihren organischen Producten giebt, | ||||||
08 | berechtigt, ja berufen, von ihr und ihren Gesetzen nichts, als was im | ||||||
09 | Ganzen zweckmäßig ist, zu erwarten. | ||||||
10 | Es versteht sich, daß dieses nicht ein Princip für die bestimmende, | ||||||
11 | sondern nur für die reflectirende Urtheilskraft sei, daß es regulativ und | ||||||
12 | nicht constitutiv sei, und wir dadurch nur einen Leitfaden bekommen, die | ||||||
13 | Naturdinge in Beziehung auf einen Bestimmungsgrund, der schon gegeben | ||||||
14 | ist, nach einer neuen gesetzlichen Ordnung zu betrachten und die | ||||||
15 | Naturkunde nach einem andern Princip, nämlich dem der Endursachen, | ||||||
16 | doch unbeschadet dem des Mechanisms ihrer Causalität zu erweitern. | ||||||
17 | Übrigens wird dadurch keinesweges ausgemacht, ob irgend etwas, das wir | ||||||
18 | nach diesem Princip beurtheilen, absichtlich Zweck der Natur sei: ob die | ||||||
19 | Gräser für das Rind oder Schaf und ob dieses und die übrigen Naturdinge | ||||||
20 | für den Menschen da sind. Es ist gut, selbst die uns unangenehmen | ||||||
21 | und in besondern Beziehungen zweckwidrigen Dinge auch von dieser Seite | ||||||
22 | zu betrachten. So könnte man z. B. sagen: das Ungeziefer, welches die | ||||||
23 | Menschen in ihren Kleidern, Haaren oder Bettstellen plagt, sei nach einer | ||||||
24 | weisen Naturanstalt ein Antrieb zur Reinlichkeit, die für sich schon ein | ||||||
25 | wichtiges Mittel der Erhaltung der Gesundheit ist. Oder die Mosquitomücken | ||||||
26 | und andere stechende Insecten, welche die Wüsten von Amerika | ||||||
27 | den Wilden so beschwerlich machen, seien so viel Stacheln der Thätigkeit | ||||||
28 | für diese angehende Menschen, um die Moräste abzuleiten und die dichten | ||||||
29 | den Luftzug abhaltenden Wälder Licht zu machen und dadurch, imgleichen | ||||||
30 | durch den Anbau des Bodens ihren Aufenthalt zugleich gesünder zu | ||||||
31 | machen. Selbst was dem Menschen in seiner innern Organisation widernatürlich | ||||||
32 | zu sein scheint, wenn es auf diese Weise behandelt wird, giebt | ||||||
33 | eine unterhaltende, bisweilen auch belehrende Aussicht in eine teleologische | ||||||
34 | Ordnung der Dinge, auf die uns ohne ein solches Princip die bloß | ||||||
35 | physische Betrachtung allein nicht führen würde. So wie einige den | ||||||
36 | Bandwurm dem Menschen oder Thiere, dem er beiwohnt, gleichsam zum | ||||||
37 | Ersatz eines gewissen Mangels seiner Lebensorganen beigegeben zu sein | ||||||
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