Kant: AA IV, Metaphysische Anfangsgründe ... , Seite 505 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | Raum würde durchdrungen werden. Also muß in c etwas sein, was dem Eindringen | ||||||
02 | von A und a widersteht und also die Monas A zurücktreibt, so wie es auch | ||||||
03 | von ihr zurückgetrieben wird. Da nun Zurücktreiben ein Bewegen ist, so ist /c | ||||||
04 | etwas Bewegliches im Raum, mithin Materie, und der Raum zwischen A und /a | ||||||
05 | konnte nicht durch die Sphäre der Wirksamkeit einer einzigen Monade angefüllt | ||||||
06 | sein, also auch nicht der Raum zwischen c und A und so ins Unendliche. | ||||||
07 | Wenn Mathematiker die repulsiven Kräfte der Theile elastischer Materien | ||||||
08 | bei größerer oder kleinerer Zusammendrückung derselben als nach einer gewissen | ||||||
09 | Proportion ihrer Entfernungen von einander abnehmend oder zunehmend sich | ||||||
10 | vorstellen, z. B. daß die kleinsten Theile der Luft sich in umgekehrtem Verhältniß | ||||||
11 | ihrer Entfernungen von einander zurücktreiben, weil die Elasticität derselben in | ||||||
12 | umgekehrtem Verhältniß der Räume steht, darin sie zusammengedrückt werden: | ||||||
13 | so verfehlt man gänzlich ihren Sinn und mißdeutet ihre Sprache, wenn man das, | ||||||
14 | was zum Verfahren der Construction eines Begriffs nothwendig gehört, dem Begriffe | ||||||
15 | im Object selbst beilegt. Denn nach jenem kann eine jede Berührung als eine | ||||||
16 | unendlich kleine Entfernung vorgestellt werden; welches in solchen Fällen auch | ||||||
17 | nothwendig geschehen muß, wo ein großer oder kleiner Raum durch eben dieselbe | ||||||
18 | Quantität der Materie, d. i. einerlei Quantum repulsiver Kräfte, als ganz erfüllt | ||||||
19 | vorgestellt werden soll. Bei einem ins Unendliche Theilbaren darf darum dennoch | ||||||
20 | keine wirkliche Entfernung der Theile, die bei aller Erweiterung des Raums des | ||||||
21 | Ganzen immer ein Continuum ausmachen, angenommen werden, obgleich die | ||||||
22 | Möglichkeit dieser Erweiterung nur unter der Idee einer unendlich kleinen Entfernung | ||||||
23 | anschaulich gemacht werden kann. | ||||||
24 | Anmerkung 2. |
||||||
25 | Die Mathematik kann zwar in ihrem inneren Gebrauche in Ansehung der | ||||||
26 | Chicane einer verfehlten Metaphysik ganz gleichgültig sein und im sicheren Besitz | ||||||
27 | ihrer evidenten Behauptungen von der unendlichen Theilbarkeit des Raumes | ||||||
28 | beharren, was für Einwürfe auch eine an bloßen Begriffen klaubende Vernünftelei | ||||||
29 | dagegen auf die Bahn bringen mag; allein in der Anwendung ihrer | ||||||
30 | Sätze, die vom Raume gelten, auf Substanz, die ihn erfüllt, muß sie sich doch auf | ||||||
31 | Prüfung nach bloßen Begriffen, mithin auf Metaphysik einlassen. Obiger Lehrsatz | ||||||
32 | ist schon ein Beweis davon. Denn es folgt nicht nothwendig, daß Materie ins Unendliche | ||||||
33 | physisch theilbar sei, wenn sie es gleich in mathematischer Absicht ist, wenn | ||||||
34 | gleich ein jeder Theil des Raums wiederum ein Raum ist und also immer Theile | ||||||
35 | außerhalb einander in sich faßt, wofern nicht bewiesen werden kann, daß in jedem | ||||||
36 | aller möglichen Theile dieses erfüllten Raumes auch Substanz sei, die folglich | ||||||
37 | auch, abgesondert von allen übrigen, als für sich beweglich existire. Also fehlte doch | ||||||
38 | bisher dem mathematischen Beweise noch etwas, ohne welches er auf die Naturwissenschaft | ||||||
39 | keine sichere Anwendung haben konnte, und diesem Mangel ist in obstehendem | ||||||
[ Seite 504 ] [ Seite 506 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |