Kant: AA IV, Metaphysische Anfangsgründe ... , Seite 484 |
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01 | Hopfens, deren die erstere wie ein Pfropfenzieher, oder, wie die Seeleute es ausdrücken | ||||||
02 | würden, wider die Sonne, der andere mit der Sonne um ihre Stange | ||||||
03 | läuft? Ein Begriff, der sich zwar construiren, aber als Begriff für sich durch allgemeine | ||||||
04 | Merkmale und in der discursiven Erkenntnißart gar nicht deutlich machen | ||||||
05 | läßt, und der in den Dingen selbst (z. B. an den seltenen Menschen, bei denen die | ||||||
06 | Leicheneröffnung alle Theile nach der physiologischen Regel mit andern Menschen | ||||||
07 | einstimmig, nur alle Eingeweide links oder rechts wider die gewöhnliche Ordnung | ||||||
08 | versetzt fand) keinen erdenklichen Unterschied in den innern Folgen geben kann und | ||||||
09 | demnach ein wahrhafter mathematischer und zwar innerer Unterschied ist, womit der | ||||||
10 | von dem Unterschiede zweier sonst in allen Stücken gleichen, der Richtung nach aber | ||||||
11 | verschiedenen Kreisbewegungen, obgleich nicht völlig einerlei, dennoch aber zusammenhängend | ||||||
12 | ist. Ich habe anderwärts gezeigt, daß, da sich dieser Unterschied | ||||||
13 | zwar in der Anschauung geben, aber gar nicht auf deutliche Begriffe bringen, mithin | ||||||
14 | nicht verständlich erklären ( dari, non intelligi ) läßt, er einen guten bestätigenden | ||||||
15 | Beweisgrund zu dem Satze abgebe: daß der Raum überhaupt nicht zu den | ||||||
16 | Eigenschaften oder Verhältnissen der Dinge an sich selbst, die sich nothwendig | ||||||
17 | auf objective Begriffe müßten bringen lassen, sondern blos zu der subjectiven Form | ||||||
18 | unserer sinnlichen Anschauung von Dingen oder Verhältnissen, die uns nach dem, | ||||||
19 | was sie an sich sein mögen, völlig unbekannt bleiben, gehöre. Doch dies ist eine Abschweifung | ||||||
20 | von unserem jetzigen Geschäfte, in welchem wir den Raum ganz nothwendig | ||||||
21 | als Eigenschaft der Dinge, die wir in Betrachtung ziehen, nämlich körperlicher | ||||||
22 | Wesen, behandeln müssen, weil diese selbst nur Erscheinungen äußerer | ||||||
23 | Sinne sind und nur als solche hier erklärt zu werden bedürfen. Was den Begriff der | ||||||
24 | Geschwindigkeit betrifft, so bekommt dieser Ausdruck im Gebrauche auch bisweilen | ||||||
25 | eine abweichende Bedeutung. Wir sagen: die Erde dreht sich geschwinder um ihre | ||||||
26 | Achse als die Sonne, weil sie es in kürzerer Zeit thut; obgleich die Bewegung der | ||||||
27 | letzteren viel geschwinder ist. Der Blutumlauf eines kleinen Vogels ist viel geschwinder | ||||||
28 | als der eines Menschen, obgleich seine strömende Bewegung im ersteren | ||||||
29 | ohne Zweifel weniger Geschwindigkeit hat, und so auch bei den Bebungen elastischer | ||||||
30 | Materien. Die kürze der Zeit der Wiederkehr, es sei der circulirenden oder oscillirenden | ||||||
31 | Bewegung, macht den Grund dieses Gebrauchs aus, an welchem, wenn | ||||||
32 | sonst nur die Mißdeutung vermieden wird, man auch nicht Unrecht thut. Denn | ||||||
33 | diese bloße Vergrößerung der Eile in der Wiederkehr ohne Vergrößerung der räumlichen | ||||||
34 | Geschwindigkeit hat ihre eigene und sehr erhebliche Wirkungen in der Natur, | ||||||
35 | worauf in dem Cirkellauf der Säfte der Thiere vielleicht noch nicht gnug Rücksicht | ||||||
36 | genommen worden. In der Phoronomie brauchen wir das Wort Geschwindigkeit | ||||||
37 | blos in räumlicher Bedeutung C = S/T. | ||||||
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