Kant: AA IV, Grundlegung zur Metaphysik der ... , Seite 463 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | verhalten, ein lebhaftes Interesse an dem moralischen Gesetze in uns zu | ||||||
02 | bewirken. | ||||||
03 | Schlußanmerkung. |
||||||
04 | Der speculative Gebrauch der Vernunft in Ansehung der Natur | ||||||
05 | führt auf absolute Nothwendigkeit irgend einer obersten Ursache der Welt; | ||||||
06 | der praktische Gebrauch der Vernunft in Absicht auf die Freiheit | ||||||
07 | führt auch auf absolute Nothwendigkeit, aber nur der Gesetze der Handlungen | ||||||
08 | eines vernünftigen Wesens als eines solchen. Nun ist es ein | ||||||
09 | wesentliches Princip alles Gebrauchs unserer Vernunft, ihr Erkenntniß | ||||||
10 | bis zum Bewußtsein ihrer Nothwendigkeit zu treiben (denn ohne diese | ||||||
11 | wäre sie nicht Erkenntniß der Vernunft). Es ist aber auch eine eben so | ||||||
12 | wesentliche Einschränkung eben derselben Vernunft, daß sie weder die | ||||||
13 | Nothwendigkeit dessen, was da ist, oder was geschieht, noch dessen, was | ||||||
14 | geschehen soll, einsehen kann, wenn nicht eine Bedingung, unter der es | ||||||
15 | da ist oder geschieht oder geschehen soll, zum Grunde gelegt wird. Auf | ||||||
16 | diese Weise aber wird durch die beständige Nachfrage nach der Bedingung | ||||||
17 | die Befriedigung der Vernunft nur immer weiter aufgeschoben. Daher | ||||||
18 | sucht sie rastlos das Unbedingt=Nothwendige und sieht sich genöthigt, es | ||||||
19 | anzunehmen, ohne irgend ein Mittel, es sich begreiflich zu machen; glücklich | ||||||
20 | gnug, wenn sie nur den Begriff ausfindig machen kann, der sich mit | ||||||
21 | dieser Voraussetzung verträgt. Es ist also kein Tadel für unsere Deduction | ||||||
22 | des obersten Princips der Moralität, sondern ein Vorwurf, den man | ||||||
23 | der menschlichen Vernunft überhaupt machen müßte, daß sie ein unbedingtes | ||||||
24 | praktisches Gesetz (dergleichen der kategorische Imperativ sein muß) | ||||||
25 | seiner absoluten Nothwendigkeit nach nicht begreiflich machen kann; denn | ||||||
26 | daß sie dieses nicht durch eine Bedingung, nämlich vermittelst irgend eines | ||||||
27 | zum Grunde gelegten Interesse, thun will, kann ihr nicht verdacht werden, | ||||||
28 | weil es alsdann kein moralisches, d. i. oberstes Gesetz der Freiheit sein | ||||||
29 | würde. Und so begreifen wir zwar nicht die praktische unbedingte Nothwendigkeit | ||||||
30 | des moralischen Imperativs, wir begreifen aber doch seine Unbegreiflichkeit, | ||||||
31 | welches alles ist, was billigermaßen von einer Philosophie, | ||||||
32 | die bis zur Grenze der menschlichen Vernunft in Principien strebt, | ||||||
33 | gefordert werden kann. | ||||||
[ Seite 462 ] [ Seite 465 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |