Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 379

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Dingen zuerst in einer Kritik der reinen Vernunft ausgemacht werden      
  02 müsse; mithin ist er verbunden, entweder zu gestehen, daß meine Grundsätze      
  03 der Kritik richtig sind, oder ihre Ungültigkeit zu beweisen. Da ich      
  04 aber schon zum voraus sehe, daß, so unbesorgt er sich auch bisher auf die      
  05 Gewißheit seiner Grundsätze verlassen hat, dennoch, da es auf eine strenge      
  06 Probe ankommt, er in dem ganzen Umfange der Metaphysik auch nicht      
  07 einen einzigen auffinden werde, mit dem er dreust auftreten könne, so will      
  08 ich ihm die vortheilhafteste Bedingung bewilligen, die man nur in einem      
  09 Wettstreite erwarten kann, nämlich ihm das onus probandi abnehmen und      
  10 es mir auflegen lassen.      
           
  11 Er findet nämlich in diesen Prolegomenen und in meiner Kritik      
  12 S. 426 - 461 acht Sätze, deren zwei und zwei immer einander widerstreiten,      
  13 jeder aber nothwendig zur Metaphysik gehört, die ihn entweder      
  14 annehmen oder widerlegen muß (wiewohl kein einziger derselben ist, der      
  15 nicht zu seiner Zeit von irgend einem Philosophen wäre angenommen      
  16 worden). Nun hat er die Freiheit, sich einen von diesen acht Sätzen nach      
  17 Wohlgefallen auszusuchen und ihn ohne Beweis, den ich ihm schenke, anzunehmen,      
  18 aber nur einen (denn ihm wird Zeitverspillerung eben so wenig      
  19 dienlich sein wie mir), und alsdann meinen Beweis des Gegensatzes anzugreifen.      
  20 Kann ich nun diesen gleichwohl retten und auf solche Art zeigen,      
  21 daß nach Grundsätzen, die jede dogmatische Metaphysik nothwendig anerkennen      
  22 muß, das Gegentheil des von ihm adoptirten Satzes gerade eben      
  23 so klar bewiesen werden könne, so ist dadurch ausgemacht, daß in der Metaphysik      
  24 ein Erbfehler liege, der nicht erklärt, viel weniger gehoben werden      
  25 kann, als wenn man bis zu ihrem Geburtsort, der reinen Vernunft selbst,      
  26 hinaufsteigt; und so muß meine Kritik entweder angenommen, oder an      
  27 ihrer Statt eine bessere gesetzt, sie also wenigstens studirt werden; welches      
  28 das einzige ist, das ich jetzt nur verlange. Kann ich dagegen meinen Beweis      
  29 nicht retten, so steht ein synthetischer Satz a priori aus dogmatischen      
  30 Grundsätzen auf der Seite meines Gegners fest, meine Beschuldigung der      
  31 gemeinen Metaphysik war darum ungerecht, und ich erbiete mich, seinen      
  32 Tadel meiner Kritik (obgleich das lange noch nicht die Folge sein dürfte)      
  33 für rechtmäßig zu erkennen. Hiezu aber würde es, dünkt mich, nöthig      
  34 sein, aus dem Incognito zu treten, weil ich nicht absehe, wie es sonst      
  35 zu verhüten wäre, daß ich nicht statt einer Aufgabe von ungenannten      
           
     

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