Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 378 |
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| 01 | Es fehlt noch sehr viel daran, daß eine gelehrte Zeitung, ihre Mitarbeiter | ||||||
| 02 | mögen auch mit noch so guter Wahl und Sorgfalt ausgesucht | ||||||
| 03 | werden, ihr sonst verdientes Ansehen im Felde der Metaphysik eben so wie | ||||||
| 04 | anderwärts behaupten könne. Andere Wissenschaften und Kenntnisse haben | ||||||
| 05 | doch ihren Maßstab. Mathematik hat ihren in sich selbst, Geschichte und | ||||||
| 06 | Theologie in weltlichen oder heiligen Büchern, Naturwissenschaft und | ||||||
| 07 | Arzneikunst in Mathematik und Erfahrung, Rechtsgelehrsamkeit in Gesetzbüchern | ||||||
| 08 | und sogar Sachen des Geschmacks in Mustern der Alten. Allein | ||||||
| 09 | zur Beurtheilung des Dinges, das Metaphysik heißt, soll erst der Maßstab | ||||||
| 10 | gefunden werden (ich habe einen Versuch gemacht, ihn sowohl als | ||||||
| 11 | seinen Gebrauch zu bestimmen). Was ist nun so lange, bis dieser ausgemittelt | ||||||
| 12 | wird, zu thun, wenn doch über Schriften dieser Art geurtheilt werden | ||||||
| 13 | muß? Sind sie von dogmatischer Art, so mag man es halten, wie | ||||||
| 14 | man will: lange wird keiner hierin über den andern den Meister spielen, | ||||||
| 15 | ohne daß sich einer findet, der es ihm wieder vergilt. Sind sie aber von | ||||||
| 16 | kritischer Art und zwar nicht in Absicht auf andere Schriften, sondern auf | ||||||
| 17 | die Vernunft selbst, so daß der Maßstab der Beurtheilung nicht schon angenommen | ||||||
| 18 | werden kann, sondern allererst gesucht wird: so mag Einwendung | ||||||
| 19 | und Tadel unverbeten sein, aber Verträglichkeit muß dabei doch zum | ||||||
| 20 | Grunde liegen, weil das Bedürfniß gemeinschaftlich ist, und der Mangel | ||||||
| 21 | benöthigter Einsicht ein richterlich=entscheidendes Ansehen unstatthaft | ||||||
| 22 | macht. | ||||||
| 23 | Um aber diese meine Vertheidigung zugleich an das Interesse des | ||||||
| 24 | philosophirenden gemeinen Wesens zu knüpfen, schlage ich einen Versuch | ||||||
| 25 | vor, der über die Art, wie alle metaphysische Untersuchungen auf ihren | ||||||
| 26 | gemeinschaftlichen Zweck gerichtet werden müssen, entscheidend ist. Dieser | ||||||
| 27 | ist nichts anders, als was sonst wohl Mathematiker gethan haben, um in | ||||||
| 28 | einem Wettstreit den Vorzug ihrer Methoden auszumachen, nämlich eine | ||||||
| 29 | Ausforderung an meinen Recensenten, nach seiner Art irgend einen einzigen | ||||||
| 30 | von ihm behaupteten wahrhaftig metaphysischen, d. i. synthetischen | ||||||
| 31 | und a priori aus Begriffen erkannten, allenfalls auch einen der unentbehrlichsten, | ||||||
| 32 | als z. B. den Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz, oder | ||||||
| 33 | der nothwendigen Bestimmung der Weltbegebenheiten durch ihre Ursache, | ||||||
| 34 | aber, wie es sich gebührt, durch Gründe a priori zu erweisen. Kann er | ||||||
| 35 | dies nicht (Stillschweigen aber ist Bekenntniß), so muß er einräumen: | ||||||
| 36 | daß, da Metaphysik ohne apodiktische Gewißheit der Sätze dieser Art ganz | ||||||
| 37 | und gar nichts ist, die Möglichkeit oder Unmöglichkeit derselben vor allen | ||||||
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