| Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 351 | |||||||
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| 01 | für die einzig mögliche Erkenntnißart der Dinge, mithin unsre Anschauung | ||||||
| 02 | in Raum und Zeit für die allein mögliche Anschauung, unsern discursiven | ||||||
| 03 | Verstand aber für das Urbild von jedem möglichen Verstande | ||||||
| 04 | ausgeben wollten, mithin Principien der Möglichkeit der Erfahrung für | ||||||
| 05 | allgemeine Bedingungen der Dinge an sich selbst wollten gehalten wissen. | ||||||
| 06 | Unsere Principien, welche den Gebrauch der Vernunft blos auf mögliche | ||||||
| 07 | Erfahrung einschränken, könnten demnach selbst transscendent | ||||||
| 08 | werden und die Schranken unsrer Vernunft für Schranken der Möglichkeit | ||||||
| 09 | der Dinge selbst ausgeben, wie davon Humes Dialogen zum Beispiel | ||||||
| 10 | dienen können, wenn nicht eine sorgfältige Kritik die Grenzen unserer Vernunft | ||||||
| 11 | auch in Ansehung ihres empirischen Gebrauchs bewachte und ihren | ||||||
| 12 | Anmaßungen ihr Ziel setzte. Der Scepticism ist uranfänglich aus der | ||||||
| 13 | Metaphysik und ihrer polizeilosen Dialektik entsprungen. Anfangs mochte | ||||||
| 14 | er wohl blos zu Gunsten des Erfahrungsgebrauchs der Vernunft alles, | ||||||
| 15 | was diesen übersteigt, für nichtig und betrüglich ausgeben; nach und nach | ||||||
| 16 | aber, da man inne ward, daß es doch eben dieselbe Grundsätze a priori | ||||||
| 17 | sind, deren man sich bei der Erfahrung bedient, die unvermerkt und, wie | ||||||
| 18 | es schien, mit eben demselben Rechte noch weiter führten, als Erfahrung | ||||||
| 19 | reicht, so fing man an, selbst in Erfahrungsgrundsätze einen Zweifel zu | ||||||
| 20 | setzen. Hiemit hat es nun wohl keine Noth; denn der gesunde Verstand | ||||||
| 21 | wird hierin wohl jederzeit seine Rechte behaupten; allein es entsprang doch | ||||||
| 22 | eine besondere Verwirrung in der Wissenschaft, die nicht bestimmen kann, | ||||||
| 23 | wie weit und warum nur bis dahin und nicht weiter der Vernunft zu | ||||||
| 24 | trauen sei; dieser Verwirrung aber kann nur durch förmliche und aus | ||||||
| 25 | Grundsätzen gezogene Grenzbestimmung unseres Vernunftgebrauchs abgeholfen | ||||||
| 26 | und allem Rückfall auf künftige Zeit vorgebeugt werden. | ||||||
| 27 | Es ist wahr: wir können über alle mögliche Erfahrung hinaus von | ||||||
| 28 | dem, was Dinge an sich selbst sein mögen, keinen bestimmten Begriff geben. | ||||||
| 29 | Wir sind aber dennoch nicht frei vor der Nachfrage nach diesen, uns gänzlich | ||||||
| 30 | derselben zu enthalten; denn Erfahrung thut der Vernunft niemals | ||||||
| 31 | völlig Gnüge; sie weiset uns in Beantwortung der Fragen immer weiter | ||||||
| 32 | zurück und läßt uns in Ansehung des völligen Aufschlusses derselben unbefriedigt, | ||||||
| 33 | wie jedermann dieses aus der Dialektik der reinen Vernunft, die | ||||||
| 34 | eben darum ihren guten subjectiven Grund hat, hinreichend ersehen kann. | ||||||
| 35 | Wer kann es wohl ertragen, daß wir von der Natur unserer Seele bis zum | ||||||
| 36 | klaren Bewußtsein des Subjects und zugleich der Überzeugung gelangen, | ||||||
| 37 | daß seine Erscheinungen nicht materialistisch können erklärt werden, | ||||||
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