Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 338 |
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Text (Kant):
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01 | § 50. |
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02 | II Kosmologische Ideen. (Krit. S. 405 u. f.) |
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03 | Dieses Product der reinen Vernunft in ihrem transscendenten Gebrauch | ||||||
04 | ist das merkwürdigste Phänomen derselben, welches auch unter allen | ||||||
05 | am kräftigsten wirkt, die Philosophie aus ihrem dogmatischen Schlummer | ||||||
06 | zu erwecken und sie zu dem schweren Geschäfte der Kritik der Vernunft | ||||||
07 | selbst zu bewegen. | ||||||
08 | Ich nenne diese Idee deswegen kosmologisch, weil sie ihr Object jederzeit | ||||||
09 | nur in der Sinnenwelt nimmt, auch keine andere als die, deren Gegenstand | ||||||
10 | ein Object der Sinne ist, braucht, mithin so fern einheimisch und | ||||||
11 | nicht transscendent, folglich bis dahin noch keine Idee ist: dahingegen, | ||||||
12 | die Seele sich als eine einfache Substanz denken, schon so viel heißt, als | ||||||
13 | sich einen Gegenstand denken (das einfache), dergleichen den Sinnen gar | ||||||
14 | nicht vorgestellt werden können. Dem ungeachtet erweitert doch die kosmologische | ||||||
15 | Idee die Verknüpfung des Bedingten mit seiner Bedingung | ||||||
16 | (diese mag mathematisch oder dynamisch sein) so sehr, daß Erfahrung ihr | ||||||
17 | niemals gleichkommen kann, und ist also in Ansehung dieses Punkts immer | ||||||
18 | eine Idee, deren Gegenstand niemals adäquat in irgend einer Erfahrung | ||||||
19 | gegeben werden kann. | ||||||
20 | § 51. |
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21 | Zuerst zeigt sich hier der Nutzen eines Systems der Kategorien so | ||||||
22 | deutlich und unverkennbar, daß, wenn es auch nicht mehrere Beweisthümer | ||||||
23 | desselben gäbe, dieser allein ihre Unentbehrlichkeit im System der reinen | ||||||
24 | Vernunft hinreichend darthun würde. Es sind solcher transscendenten | ||||||
25 | Ideen nicht mehr als vier, so viel als Classen der Kategorien; in jeder derselben | ||||||
26 | aber gehen sie nur auf die absolute Vollständigkeit der Reihe der | ||||||
27 | Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten. Diesen kosmologischen Ideen | ||||||
28 | gemäß giebt es auch nur viererlei dialektische Behauptungen der reinen | ||||||
29 | Vernunft, die, da sie dialektisch sind, dadurch selbst beweisen, daß einer | ||||||
30 | jeden nach eben so scheinbaren Grundsätzen der reinen Vernunft ein ihm | ||||||
31 | widersprechender entgegensteht, welchen Widerstreit keine metaphysische | ||||||
32 | Kunst der subtilsten Distinction verhüten kann, sondern die den Philosophen | ||||||
33 | nöthigt, zu den ersten Quellen der reinen Vernunft selbst zurück zu gehen. | ||||||
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