Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 332

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Erfahrung hinauslägen, zur Absicht, sondern fordert nur Vollständigkeit      
  02 des Verstandesgebrauchs im Zusammenhange der Erfahrung. Diese Vollständigkeit      
  03 aber kann nur eine Vollständigkeit der Principien, aber nicht      
  04 der Anschauungen und Gegenstände sein. Gleichwohl, um sich jene bestimmt      
  05 vorzustellen, denkt sie sich solche als die Erkenntniß eines Objects,      
  06 dessen Erkenntniß in Ansehung jener Regeln vollständig bestimmt ist,      
  07 welches Object aber nur eine Idee ist, um die Verstandeserkenntniß der      
  08 Vollständigkeit, die jene Idee bezeichnet, so nahe wie möglich zu bringen.      
           
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§ 45.
     
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Vorläufige Bemerkung
     
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zur Dialektik der reinen Vernunft.
     
           
  12 Wir haben oben, Paragraph 33, 34, gezeigt, daß die Reinigkeit der      
  13 Kategorien von aller Beimischung sinnlicher Bestimmungen die Vernunft      
  14 verleiten könne, ihren Gebrauch gänzlich über alle Erfahrung hinaus, auf      
  15 Dinge an sich selbst auszudehnen, wiewohl, da sie selbst keine Anschauung      
  16 finden, welche ihnen Bedeutung und Sinn in concreto verschaffen könnte,      
  17 sie als blos logische Functionen zwar ein Ding überhaupt vorstellen, aber      
  18 für sich allein keinen bestimmten Begriff von irgend einem Dinge geben      
  19 können. Dergleichen hyperbolische Objecte sind nun die, so man Noumena      
  20 oder reine Verstandeswesen (besser Gedankenwesen) nennt, als      
  21 z. B. Substanz, welche aber ohne Beharrlichkeit in der Zeit gedacht      
  22 wird, oder eine Ursache, die aber nicht in der Zeit wirkte, u. s. w.; da      
  23 man ihnen denn Prädicate beilegt, die blos dazu dienen, die Gesetzmäßigkeit      
  24 der Erfahrung möglich zu machen, und gleichwohl alle Bedingungen      
  25 der Anschauung, unter denen allein Erfahrung möglich ist, von ihnen wegnimmt,      
  26 wodurch jene Begriffe wiederum alle Bedeutung verlieren.      
           
  27 Es hat aber keine Gefahr, daß der Verstand von selbst, ohne durch      
  28 fremde Gesetze Gedrungen zu sein, über seine Grenzen so ganz muthwillig      
  29 in das Feld von bloßen Gedankenwesen ausschweifen werde. Wenn aber      
  30 die Vernunft, die mit keinem Erfahrungsgebrauche der Verstandesregeln,      
  31 als der immer noch bedingt ist, völlig befriedigt sein kann, Vollendung      
  32 dieser Kette von Bedingungen fordert, so wird der Verstand aus seinem      
  33 Kreise getrieben, um theils Gegenstände der Erfahrung in einer so weit      
  34 erstreckten Reihe vorzustellen, dergleichen gar keine Erfahrung fassen kann,      
           
     

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