Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 298

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Empirische Urtheile, sofern sie objective Gültigkeit haben,      
  02 sind Erfahrungsurtheile; die aber, so nur subjectiv gültig sind, nenne      
  03 ich bloße Wahrnehmungsurtheile. Die letztern bedürfen keines reinen      
  04 Verstandesbegriffs, sondern nur der logischen Verknüpfung der Wahrnehmungen      
  05 in einem denkenden Subject. Die erstern aber erfordern jederzeit      
  06 über die Vorstellungen der sinnlichen Anschauung noch besondere, im Verstande      
  07 ursprünglich erzeugte Begriffe, welche es eben machen, daß      
  08 das Erfahrungsurtheil objectiv gültig ist.      
           
  09 Alle unsere Urtheile sind zuerst bloße Wahrnehmungsurtheile: sie      
  10 gelten blos für uns, d. i. für unser Subject, und nur hinten nach geben      
  11 wir ihnen eine neue Beziehung, nämlich auf ein Object, und wollen, daß      
  12 es auch für uns jederzeit und eben so für jedermann gültig sein solle; denn      
  13 wenn ein Urtheil mit einem Gegenstande übereinstimmt, so müssen alle      
  14 Urtheile über denselben Gegenstand auch unter einander übereinstimmen,      
  15 und so bedeutet die objective Gültigkeit des Erfahrungsurtheils nichts      
  16 anders, als die nothwendige Allgemeingültigkeit desselben. Aber auch umgekehrt,      
  17 wenn wir Ursache finden, ein Urtheil für nothwendig allgemeingültig      
  18 zu halten (welches niemals auf der Wahrnehmung, sondern dem      
  19 reinen Verstandesbegriffe beruht, unter dem die Wahrnehmung subsumirt      
  20 ist), so müssen wir es auch für objectiv halten, d. i. daß es nicht blos eine      
  21 Beziehung der Wahrnehmung auf ein Subject, sondern eine Beschaffenheit      
  22 des Gegenstandes ausdrücke; denn es wäre kein Grund, warum      
  23 anderer Urtheile nothwendig mit dem meinigen übereinstimmen müßten,      
  24 wenn es nicht die Einheit des Gegenstandes wäre, auf den sie sich alle beziehen,      
  25 mit dem sie übereinstimmen und daher auch alle unter einander      
  26 zusammenstimmen müssen.      
           
  27
§ 19.
     
           
  28 Es sind daher objective Gültigkeit und nothwendige Allgemeingültigkeit      
  29 (für jedermann) Wechselbegriffe, und ob wir gleich das Object an sich      
  30 nicht kennen, so ist doch, wenn wir ein Urtheil als gemeingültig und mithin      
  31 nothwendig ansehen, eben darunter die objective Gültigkeit verstanden.      
  32 Wir erkennen durch dieses Urtheil das Object (wenn es auch sonst, wie es      
  33 an sich selbst sein möchte, unbekannt bliebe) durch die allgemeingültige      
  34 und nothwendige Verknüpfung der gegebenen Wahrnehmungen; und da      
  35 dieses der Fall von allen Gegenständen der Sinne ist, so werden Erfahrungsurtheile      
  36 ihre objective Gültigkeit nicht von der unmittelbaren Erkenntniß      
           
     

[ Seite 297 ] [ Seite 299 ] [ Inhaltsverzeichnis ]