Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 279

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 sondern ihre Behauptung muß Wissenschaft sein, oder sie ist überall gar      
  02 nichts.      
           
  03 Man kann sagen, daß die ganze Transscendentalphilosophie, die vor      
  04 aller Metaphysik nothwendig vorhergeht, selbst nichts anders als blos die      
  05 vollständige Auflösung der hier vorgelegten Frage sei, nur in systematischer      
  06 Ordnung und Ausführlichkeit, und man habe also bis jetzt keine Transscendentalphilosophie.      
  07 Denn was den Namen davon führt, ist eigentlich      
  08 ein Theil der Metaphysik; jene Wissenschaft soll aber die Möglichkeit der      
  09 letzteren zuerst ausmachen und muß also vor aller Metaphysik vorhergehen.      
  10 Man darf sich also auch nicht wundern, da eine ganze und zwar aller Beihülfe      
  11 aus andern beraubte, mithin an sich ganz neue Wissenschaft nöthig      
  12 ist, um nur eine einzige Frage hinreichend zu beantworten, wenn die Auflösung      
  13 derselben mit Mühe und Schwierigkeit, ja sogar mit einiger Dunkelheit      
  14 verbunden ist.      
           
  15 Indem wir jetzt zu dieser Auflösung schreiten und zwar nach analytischer      
  16 Methode, in welcher wir voraussetzen, daß solche Erkenntnisse aus      
  17 reiner Vernunft wirklich sind: so können wir uns nur auf zwei Wissenschaften      
  18 der theoretischen Erkenntniß (als von der allein hier die Rede      
  19 ist) berufen, nämlich reine Mathematik und reine Naturwissenschaft;      
  20 denn nur diese können uns die Gegenstände in der Anschauung      
  21 darstellen, mithin, wenn etwa in ihnen ein Erkenntniß a priori vorkäme,      
  22 die Wahrheit oder Übereinstimmung derselben mit dem Objecte in concreto ,      
  23 d. i. ihre Wirklichkeit, zeigen, von der alsdann zu dem Grunde      
  24 ihrer Möglichkeit auf dem analytischen Wege fortgegangen werden könnte.      
  25 Dies erleichtert das Geschäfte sehr, in welchem die allgemeine Betrachtungen      
  26 nicht allein auf Facta angewandt werden, sondern sogar von ihnen      
  27 ausgehen, anstatt daß sie in synthetischem Verfahren gänzlich in abstracto      
  28 aus Begriffen abgeleitet werden müssen.      
           
  29 Um aber von diesen wirklichen und zugleich gegründeten reinen Erkenntnissen      
  30 a priori zu einer möglichen, die wir suchen, nämlich einer      
  31 Metaphysik als Wissenschaft, aufzusteigen, haben wir nöthig, das, was      
  32 sie veranlaßt und als blos natürlich gegebene, obgleich wegen ihrer Wahrheit      
  33 nicht unverdächtige Erkenntniß a priori jener zum Grunde liegt, deren      
  34 Bearbeitung ohne alle kritische Untersuchung ihrer Möglichkeit gewöhnlichermaßen      
  35 schon Metaphysik genannt wird, mit einem Worte die Naturanlage      
  36 zu einer solchen Wissenschaft, unter unserer Hauptfrage mit zu begreifen;      
           
     

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