| Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 270 | |||||||
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| 01 | § 3. | ||||||
| 02 | Anmerkung | ||||||
| 03 | zur allgemeinen Eintheilung der Urtheile | ||||||
| 04 | in analytische und synthetische. | ||||||
| 05 | Diese Eintheilung ist in Ansehung der Kritik des menschlichen Verstandes | ||||||
| 06 | unentbehrlich und verdient daher in ihr classisch zu sein; sonst | ||||||
| 07 | wüßte ich nicht, daß sie irgend anderwärts einen beträchtlichen Nutzen | ||||||
| 08 | hätte. Und hierin finde ich auch die Ursache, weswegen dogmatische Philosophen, | ||||||
| 09 | die die Quellen metaphysischer Urtheile immer nur in der Metaphysik | ||||||
| 10 | selbst, nicht aber außer ihr, in den reinen Vernunftgesetzen überhaupt, | ||||||
| 11 | suchten, diese Eintheilung, die sich von selbst darzubieten scheint, | ||||||
| 12 | vernachlässigten und wie der berühmte Wolff, oder der seinen Fußstapfen | ||||||
| 13 | folgende scharfsinnige Baumgarten den Beweis von dem Satze des zureichenden | ||||||
| 14 | Grundes, der offenbar synthetisch ist, im Satze des Widerspruchs | ||||||
| 15 | suchen konnten. Dagegen treffe ich schon in Lockes Versuchen über | ||||||
| 16 | den menschlichen Verstand einen Wink zu dieser Eintheilung an. Denn | ||||||
| 17 | im vierten Buch, dem dritten Hauptstück § 9 u. f., nachdem er schon vorher | ||||||
| 18 | von der verschiedenen Verknüpfung der Vorstellungen in Urtheilen | ||||||
| 19 | und deren Quellen geredet hatte, wovon er die eine in der Identität oder | ||||||
| 20 | Widerspruch setzt (analytische Urtheile), die andere aber in der Existenz | ||||||
| 21 | der Vorstellungen in einem Subject (synthetische Urtheile), so gesteht er | ||||||
| 22 | § 10, daß unsere Erkenntniß (a priori) von der letztern sehr enge und beinahe | ||||||
| 23 | gar nichts sei. Allein es herrscht in dem, was er von dieser Art der | ||||||
| 24 | Erkenntniß sagt, so wenig Bestimmtes und auf Regeln Gebrachtes, daß | ||||||
| 25 | man sich nicht wundern darf, wenn niemand, sonderlich nicht einmal | ||||||
| 26 | Hume Anlaß daher genommen hat, über Sätze dieser Art Betrachtungen | ||||||
| 27 | anzustellen. Denn dergleichen allgemeine und dennoch bestimmte Principien | ||||||
| 28 | lernt man nicht leicht von andern, denen sie nur dunkel obgeschwebt | ||||||
| 29 | haben. Man muß durch eigenes Nachdenken zuvor selbst darauf gekommen | ||||||
| 30 | sein, hernach findet man sie auch anderwärts, wo man sie gewiß nicht zuerst | ||||||
| 31 | würde angetroffen haben, weil die Verfasser selbst nicht einmal wußten, | ||||||
| 32 | daß ihren eigenen Bemerkungen eine solche Idee zum Grunde liege. | ||||||
| 33 | Die, so niemals selbst denken, besitzen dennoch die Scharfsichtigkeit, alles, | ||||||
| 34 | nachdem es ihnen gezeigt worden, in demjenigen, was sonst schon gesagt | ||||||
| 35 | worden, aufzuspähen, wo es doch vorher niemand sehen konnte. | ||||||
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