| Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 255 | |||||||
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| 01 | Diese Prolegomena sind nicht zum Gebrauch für Lehrlinge, sondern | ||||||
| 02 | für künftige Lehrer und sollen auch diesen nicht etwa dienen, um den Vortrag | ||||||
| 03 | einer schon vorhandnen Wissenschaft anzuordnen, sondern um diese | ||||||
| 04 | Wissenschaft selbst allererst zu erfinden. | ||||||
| 05 | Es giebt Gelehrte, denen die Geschichte der Philosophie (der alten | ||||||
| 06 | sowohl, als neuen) selbst ihre Philosophie ist; für diese sind gegenwärtige | ||||||
| 07 | Prolegomena nicht geschrieben. Sie müssen warten, bis diejenigen, die | ||||||
| 08 | aus den Quellen der Vernunft selbst zu schöpfen bemüht sind, ihre Sache | ||||||
| 09 | werden ausgemacht haben, und alsdann wird an ihnen die Reihe sein, | ||||||
| 10 | von dem Geschehenen der Welt Nachricht zu geben. Widrigenfalls kann | ||||||
| 11 | nichts gesagt werden, was ihrer Meinung nach nicht schon sonst gesagt | ||||||
| 12 | worden ist, und in der That mag dieses auch als eine untrügliche Vorhersagung | ||||||
| 13 | für alles Künftige gelten; denn da der menschliche Verstand über | ||||||
| 14 | unzählige Gegenstände viele Jahrhunderte hindurch auf mancherlei Weise | ||||||
| 15 | geschwärmt hat, so kann es nicht leicht fehlen, daß nicht zu jedem Neuen | ||||||
| 16 | etwas Altes gefunden werden sollte, was damit einige Ähnlichkeit hätte. | ||||||
| 17 | Meine Absicht ist, alle diejenigen, so es Werth finden, sich mit Metaphysik | ||||||
| 18 | zu beschäftigen, zu überzeugen, daß es unumgänglich nothwendig | ||||||
| 19 | sei, ihre Arbeit vor der Hand auszusetzen, alles bisher geschehene als ungeschehen | ||||||
| 20 | anzusehen und vor allen Dingen zuerst die Frage aufzuwerfen: | ||||||
| 21 | ob auch so etwas als Metaphysik überall nur möglich sei. | ||||||
| 22 | Ist sie Wissenschaft, wie kommt es, daß sie sich nicht wie andre | ||||||
| 23 | Wissenschaften im allgemeinen und daurenden Beifall setzen kann? Ist sie | ||||||
| 24 | keine, wie geht es zu, daß sie doch unter dem Scheine einer Wissenschaft | ||||||
| 25 | unaufhörlich groß thut und den menschlichen Verstand mit niemals erlöschenden, | ||||||
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