Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 224 |
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| 01 | Aber die Einfachheit meiner selbst (als Seele) wird auch wirklich | ||||||
| 02 | nicht aus dem Satze: Ich denke, geschlossen, sondern die erstere liegt | ||||||
| 03 | schon in jedem Gedanken selbst. Der Satz: Ich bin einfach, muß als | ||||||
| 04 | ein unmittelbarer Ausdruck der Apperception angesehen werden, so wie | ||||||
| 05 | der vermeintliche Cartesianische Schluß: cogito, ergo sum , in der That | ||||||
| 06 | tautologisch ist, indem das cogito (sum cogitans) die Wirklichkeit unmittelbar | ||||||
| 07 | aussagt. Ich bin einfach, bedeutet aber nichts mehr, als daß diese | ||||||
| 08 | Vorstellung: Ich, nicht die mindeste Mannigfaltigkeit in sich fasse, und | ||||||
| 09 | daß sie absolute (obzwar blos logische) Einheit sei. | ||||||
| 10 | Also ist der so berühmte psychologische Beweis lediglich auf der untheilbaren | ||||||
| 11 | Einheit einer Vorstellung, die nur das Verbum in Ansehung | ||||||
| 12 | einer Person dirigirt, gegründet. Es ist aber offenbar, daß das Subject | ||||||
| 13 | der Inhärenz durch das dem Gedanken angehängte Ich nur transscendental | ||||||
| 14 | bezeichnet werde, ohne die mindeste Eigenschaft desselben zu bemerken, | ||||||
| 15 | oder überhaupt etwas von ihm zu kennen oder zu wissen. Es bedeutet ein | ||||||
| 16 | Etwas überhaupt (transscendentales Subject), dessen Vorstellung allerdings | ||||||
| 17 | einfach sein muß, eben darum weil man gar nichts an ihm bestimmt, | ||||||
| 18 | wie denn gewiß nichts einfacher vorgestellt werden kann, als durch den | ||||||
| 19 | Begriff von einem bloßen Etwas. Die Einfachheit aber der Vorstellung | ||||||
| 20 | von einem Subject ist darum nicht eine Erkenntnis von der Einfachheit | ||||||
| 21 | des Subjects selbst, denn von dessen Eigenschaften wird gänzlich abstrahirt, | ||||||
| 22 | wenn es lediglich durch den an Inhalt gänzlich leeren Ausdruck: Ich, | ||||||
| 23 | (welchen ich auf jedes denkende Subject anwenden kann) bezeichnet wird. | ||||||
| 24 | So viel ist gewiß, daß ich mir durch das Ich jederzeit eine absolute, | ||||||
| 25 | aber logische Einheit des Subjects (Einfachheit) gedenke, aber nicht, daß | ||||||
| 26 | ich dadurch die wirkliche Einfachheit meines Subjects erkenne. So wie | ||||||
| 27 | der Satz: ich bin Substanz, nichts als die reine Kategorie bedeutete, von | ||||||
| 28 | der ich in concreto keinen Gebrauch (empirischen) machen kann, so ist es | ||||||
| 29 | mir auch erlaubt zu sagen: Ich bin eine einfache Substanz, d. i. deren | ||||||
| 30 | Vorstellung niemals eine Synthesis des Mannigfaltigen enthält; aber | ||||||
| 31 | dieser Begriff oder auch dieser Satz lehrt uns nicht das mindeste in Ansehung | ||||||
| 32 | meiner selbst als eines Gegenstandes der Erfahrung, weil der Begriff | ||||||
| 33 | der Substanz selbst nur als Function der Synthesis, ohne unterlegte | ||||||
| 34 | Anschauung, mithin ohne Object gebraucht wird und nur von der Bedingung | ||||||
| 35 | unserer Erkenntniß, aber nicht von irgend einem anzugebenden | ||||||
| 36 | Gegenstande gilt. Wir wollen über die vermeintliche Brauchbarkeit dieses | ||||||
| 37 | Satzes einen Versuch anstellen. | ||||||
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