Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 203 |
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01 | werden sollen. Denn in Betracht der Natur giebt uns Erfahrung | ||||||
02 | die Regel an die Hand und ist der Quell der Wahrheit; in Ansehung der | ||||||
03 | sittlichen Gesetze aber ist Erfahrung (leider!) die Mutter des Scheins, und | ||||||
04 | es ist höchst verwerflich, die Gesetze über das, was ich thun soll, | ||||||
05 | von demjenigen herzunehmen oder dadurch einschränken zu wollen, was | ||||||
06 | gethan wird. | ||||||
07 | Statt aller dieser Betrachtungen, deren gehörige Ausführung in der | ||||||
08 | That die eigenthümliche Würde der Philosophie ausmacht, beschäftigen wir | ||||||
09 | uns jetzt mit einer nicht so glänzenden, aber doch auch nicht verdienstlosen | ||||||
10 | Arbeit, nämlich: den Boden zu jenen majestätischen sittlichen Gebäuden | ||||||
11 | eben uns baufest zu machen, in welchem sich allerlei Maulwurfsgänge einer | ||||||
12 | vergeblich, aber mit guter Zuversicht auf Schätze grabenden Vernunft vorfinden | ||||||
13 | und die jenes Bauwerk unsicher machen. Der transscendentale Gebrauch | ||||||
14 | der reinen Vernunft, ihre Principien und Ideen sind es also, welche | ||||||
15 | genau zu kennen uns jetzt obliegt, um den Einfluß der reinen Vernunft | ||||||
16 | und den Werth derselben gehörig bestimmen und schätzen zu können. Doch | ||||||
17 | ehe ich diese vorläufige Einleitung bei Seite lege, ersuche ich diejenige, | ||||||
18 | denen Philosophie am Herzen liegt (welches mehr gesagt ist, als man gemeiniglich | ||||||
19 | antrifft), wenn sie sich durch dieses und das Nachfolgende überzeugt | ||||||
20 | finden sollten, den Ausdruck Idee seiner ursprünglichen Bedeutung | ||||||
21 | nach in Schutz zu nehmen, damit er nicht fernerhin unter die übrige Ausdrücke, | ||||||
22 | womit gewöhnlich allerlei Vorstellungsarten in sorgloser Unordnung | ||||||
23 | bezeichnet werden, gerathe und die Wissenschaft dabei einbüße. Fehlt | ||||||
24 | es uns doch nicht an Benennungen, die jeder Vorstellungsart gehörig angemessen | ||||||
25 | sind, ohne daß wir nöthig haben, in das Eigenthum einer anderen | ||||||
26 | einzugreifen. Hier ist eine Stufenleiter derselben. Die Gattung ist | ||||||
27 | Vorstellung überhaupt ( repraesentatio ). Unter ihr steht die Vorstellung | ||||||
28 | mit Bewußtsein ( perceptio ). Eine Perception, die sich lediglich auf das | ||||||
29 | Subject als die Modification seines Zustandes bezieht, ist Empfindung | ||||||
30 | ( sensatio ), eine objective Perception ist Erkenntniß ( cognitio ). Diese | ||||||
31 | ist entweder Anschauung oder Begriff ( intuitus vel conceptus ). Jene | ||||||
32 | bezieht sich unmittelbar auf den Gegenstand und ist einzeln, dieser mittelbar, | ||||||
33 | vermittelst eines Merkmals, was mehreren Dingen gemein sein kann. | ||||||
34 | Der Begriff ist entweder ein empirischer oder reiner Begriff, und der | ||||||
35 | reine Begriff, so fern er lediglich im Verstande seinen Ursprung hat (nicht | ||||||
36 | im reinen Bilde der Sinnlichkeit) heißt Notio . Ein Begriff aus Notionen, | ||||||
37 | der die Möglichkeit der Erfahrung übersteigt, ist die Idee oder der Vernunftbegriff. | ||||||
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