Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 198

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01

Der

     
  02

Transscendentalen Dialektik

     
           
  03

Erstes Buch.

     
  04

Von den Begriffen der reinen Vernunft.

     
           
  05 Was es auch mit der Möglichkeit der Begriffe aus reiner Vernunft      
  06 für eine Bewandtniß haben mag: so sind sie doch nicht blos reflectirte, sondern      
  07 geschlossene Begriffe. Verstandesbegriffe werden auch a priori vor      
  08 der Erfahrung und zum Behuf derselben gedacht, aber sie enthalten nichts      
  09 weiter, als die Einheit der Reflexion über die Erscheinungen, in so fern sie      
  10 nothwendig zu einem möglichen empirischen Bewußtsein gehören sollen.      
  11 Durch sie allein wird Erkenntniß und Bestimmung eines Gegenstandes      
  12 möglich. Sie geben also zuerst Stoff zum Schließen, und vor ihnen gehen      
  13 keine Begriffe a priori von Gegenständen vorher, aus denen sie könnten      
  14 geschlossen werden. Dagegen gründet sich ihre objective Realität doch      
  15 lediglich darauf, daß, weil sie die intellectuelle Form aller Erfahrung ausmachen,      
  16 ihre Anwendung jederzeit in der Erfahrung muß gezeigt werden      
  17 können.      
           
  18 Die Benennung eines Vernunftbegriffs aber zeigt schon vorläufig:      
  19 daß er sich nicht innerhalb der Erfahrung wolle beschränken lassen, weil      
  20 er eine Erkenntniß betrifft, von der jede empirische nur ein Theil ist (vielleicht      
  21 das Ganze der möglichen Erfahrung oder ihrer empirischen Synthesis),      
  22 bis dahin zwar keine wirkliche Erfahrung jemals völlig zureicht,      
  23 aber doch jederzeit dazu gehörig ist. Vernunftbegriffe dienen zum Begreifen,      
  24 wie Verstandesbegriffe zum Verstehen (der Wahrnehmungen).      
  25 Wenn sie das Unbedingte enthalten, so betreffen sie etwas, worunter alle      
  26 Erfahrung gehört, welches selbst aber niemals ein Gegenstand der Erfahrung      
  27 ist: Etwas, worauf die Vernunft in ihren Schlüssen aus der Erfahrung      
  28 führt und wornach sie den Grad ihres empirischen Gebrauchs schätzt      
  29 und abmißt, niemals aber ein Glied der empirischen Synthesis ausmacht.      
  30 Haben dergleichen Begriffe dessen ungeachtet objective Gültigkeit, so können      
  31 sie conceptus ratiocinati (richtig geschlossene Begriffe) heißen; wo nicht,      
  32 so sind sie wenigstens durch einen Schein des Schließens erschlichen und      
  33 mögen conceptus ratiocinantes (vernünftelnde Begriffe) genannt werden.      
  34 Da dieses aber allererst in dem Hauptstücke von den dialektischen Schlüssen      
           
     

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