Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 156 |
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01 | zu keinem andern Behuf, als lediglich zum Erfahrungsgebrauch. Die | ||||||
02 | Grundsätze des reinen Verstandes, sie mögen nun a priori constitutiv sein | ||||||
03 | (wie die mathematischen), oder blos regulativ (wie die dynamischen), enthalten | ||||||
04 | nichts als gleichsam nur das reine Schema zur möglichen Erfahrung; | ||||||
05 | denn diese hat ihre Einheit nur von der synthetischen Einheit, | ||||||
06 | welche der Verstand der Synthesis der Einbildungskraft in Beziehung auf | ||||||
07 | die Apperception ursprünglich und von selbst ertheilt, und auf welche die | ||||||
08 | Erscheinungen als data zu einem möglichen Erkenntnisse schon a priori | ||||||
09 | in Beziehung und Einstimmung stehen müssen. Ob nun aber gleich diese | ||||||
10 | Verstandesregeln nicht allein a priori wahr sind, sondern sogar der Quell | ||||||
11 | aller Wahrheit, d. i. der Übereinstimmung unserer Erkenntniß mit Objecten, | ||||||
12 | dadurch daß sie den Grund der Möglichkeit der Erfahrung als des | ||||||
13 | Inbegriffes aller Erkenntniß, darin uns Objecte gegeben werden mögen, | ||||||
14 | in sich enthalten, so scheint es uns doch nicht genug, sich blos dasjenige | ||||||
15 | vortragen zu lassen, was wahr ist, sondern was man zu wissen begehrt. | ||||||
16 | Wenn wir also durch diese kritische Untersuchung nichts mehreres lernen, | ||||||
17 | als was wir im blos empirischen Gebrauche des Verstandes auch ohne so | ||||||
18 | subtile Nachforschung von selbst wohl würden ausgeübt haben, so scheint | ||||||
19 | es, sei der Vortheil, den man aus ihr zieht, den Aufwand und die Zurüstung | ||||||
20 | nicht werth. Nun kann man zwar hierauf antworten, daß kein | ||||||
21 | Vorwitz der Erweiterung unserer Erkenntniß nachtheiliger sei als der, so | ||||||
22 | den Nutzen jederzeit zum voraus wissen will, ehe man sich auf Nachforschungen | ||||||
23 | einläßt, und ehe man noch sich den mindesten Begriff von | ||||||
24 | diesem Nutzen machen könnte, wenn derselbe auch vor Augen gestellt würde. | ||||||
25 | Allein es giebt doch einen Vortheil, der auch dem schwierigsten und unlustigsten | ||||||
26 | Lehrlinge solcher transscendentalen Nachforschungen begreiflich | ||||||
27 | und zugleich angelegen gemacht werden kann, nämlich dieser: daß der blos | ||||||
28 | mit seinem empirischen Gebrauche beschäftigte Verstand, der über die | ||||||
29 | Quellen seiner eigenen Erkenntniß nicht nachsinnt, zwar sehr gut fortkommen, | ||||||
30 | eines aber gar nicht leisten könne, nämlich sich selbst die Gränzen | ||||||
31 | seines Gebrauchs zu bestimmen und zu wissen, was innerhalb oder außerhalb | ||||||
32 | seiner ganzen Sphäre liegen mag; denn dazu werden eben die tiefen | ||||||
33 | Untersuchungen erfordert, die wir angestellt haben. Kann er aber nicht | ||||||
34 | unterscheiden, ob gewisse Fragen in seinem Horizonte liegen, oder nicht, | ||||||
35 | so ist er niemals seiner Ansprüche und seines Besitzes sicher, sondern | ||||||
36 | darf sich nur auf vielfältige beschämende Zurechtweisungen Rechnung | ||||||
37 | machen, wenn er die Gränzen seines Gebiets (wie es unvermeidlich | ||||||
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