Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 115 |
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| 01 | muß man also nicht Axiomen (denn sonst gäbe es deren unendliche), sondern | ||||||
| 02 | Zahlformeln nennen. | ||||||
| 03 | Dieser transscendentale Grundsatz der Mathematik der Erscheinungen | ||||||
| 04 | giebt unserem Erkenntniß a priori große Erweiterung. Denn er ist es | ||||||
| 05 | allein, welcher die reine Mathematik in ihrer ganzen Präcision auf Gegenstände | ||||||
| 06 | der Erfahrung anwendbar macht, welches ohne diesen Grundsatz | ||||||
| 07 | nicht so von selbst erhellen möchte, ja auch manchen Widerspruch veranlaßt | ||||||
| 08 | hat. Erscheinungen sind keine Dinge an sich selbst. Die empirische Anschauung | ||||||
| 09 | ist nur durch die reine (des Raumes und der Zeit) möglich; was | ||||||
| 10 | also die Geometrie von dieser sagt, gilt auch ohne Widerrede von jener, | ||||||
| 11 | und die Ausflüchte, als wenn Gegenstände der Sinne nicht den Regeln | ||||||
| 12 | der Construction im Raume (z. E. der unendlichen Theilbarkeit der Linien | ||||||
| 13 | oder Winkel) gemäß sein dürfen, müssen wegfallen. Denn dadurch spricht | ||||||
| 14 | man dem Raume und mit ihm zugleich aller Mathematik objective Gültigkeit | ||||||
| 15 | ab und weiß nicht mehr, warum und wie weit sie auf Erscheinungen | ||||||
| 16 | anzuwenden sei. Die Synthesis der Räume und Zeiten als der wesentlichen | ||||||
| 17 | Form aller Anschauung ist das, was zugleich die Apprehension der | ||||||
| 18 | Erscheinung, mithin jede äußere Erfahrung, folglich auch alle Erkenntniß | ||||||
| 19 | der Gegenstände derselben möglich macht; und was die Mathematik im | ||||||
| 20 | reinen Gebrauch von jener beweiset, das gilt auch nothwendig von dieser. | ||||||
| 21 | Alle Einwürfe dawider sind nur Chicanen einer falsch belehrten Vernunft, | ||||||
| 22 | die irriger Weise die Gegenstände der Sinne von der formalen Bedingung | ||||||
| 23 | unserer Sinnlichkeit loszumachen gedenkt und sie, obgleich sie blos Erscheinungen | ||||||
| 24 | sind, als Gegenstände an sich selbst, dem Verstande gegeben | ||||||
| 25 | vorstellt, in welchem Falle freilich von ihnen a priori gar nichts, mithin | ||||||
| 26 | auch nicht durch reine Begriffe vom Raume synthetisch erkannt werden | ||||||
| 27 | könnte und die Wissenschaft, die diese bestimmt, nämlich die Geometrie, | ||||||
| 28 | selbst nicht möglich sein würde. | ||||||
| 29 | 2. |
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| 30 | Die Anticipationen der Wahrnehmung. |
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| 31 | Der Grundsatz, welcher alle Wahrnehmungen als solche anticipirt, | ||||||
| 32 | heißt so: In allen Erscheinungen hat die Empfindung und das Reale, | ||||||
| 33 | welches ihr an dem Gegenstande entspricht, ( realitas phaenomenon ) eine | ||||||
| 34 | intensive Größe, d. i. einen Grad. | ||||||
| 35 | Man kann alle Erkenntniß, wodurch ich dasjenige, was zur empirischen | ||||||
| 36 | Erkenntniß gehört, a priori erkennen und bestimmen kann, eine | ||||||
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