Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 109

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 in Verhältniß zu betrachten, welches daher niemals weder ein Verhältniß      
  02 der Identität, noch des Widerspruchs ist, und wobei dem Urtheile an      
  03 ihm selbst weder die Wahrheit, noch der Irrthum angesehen werden kann.      
           
  04 Also zugegeben, daß man aus einem gegebenen Begriffe hinausgehen      
  05 müsse, um ihn mit einem andern synthetisch zu vergleichen: so ist ein      
  06 Drittes nöthig, worin allein die Synthesis zweier Begriffe entstehen kann.      
  07 Was ist nun aber dieses Dritte, als das Medium aller synthetischen Urtheile?      
  08 Es ist nur ein Inbegriff, darin alle unsre Vorstellungen enthalten      
  09 sind, nämlich der innre Sinn und die Form desselben a priori, die Zeit.      
  10 Die Synthesis der Vorstellungen beruht auf der Einbildungskraft, die      
  11 synthetische Einheit derselben aber (die zum Urtheile erforderlich ist) auf      
  12 der Einheit der Apperception. Hierin wird also die Möglichkeit synthetischer      
  13 Urtheile und, da alle drei die Quellen zu Vorstellungen a priori enthalten,      
  14 auch die Möglichkeit reiner synthetischer Urtheile zu suchen sein, ja sie      
  15 werden sogar aus diesen Gründen nothwendig sein, wenn eine Erkenntniß      
  16 von Gegenständen zu Stande kommen soll, die lediglich auf der Synthesis      
  17 der Vorstellungen beruht.      
           
  18 Wenn eine Erkenntniß objective Realität haben, d. i. sich auf einen      
  19 Gegenstand beziehen und in demselben Bedeutung und Sinn haben soll,      
  20 so muß der Gegenstand auf irgend eine Art gegeben werden können.      
  21 Ohne das sind die Begriffe leer, und man hat dadurch zwar gedacht, in      
  22 der That aber durch dieses Denken nichts erkannt, sondern blos mit Vorstellungen      
  23 gespielt. Einen Gegenstand geben, wenn dieses nicht wiederum      
  24 nur mittelbar gemeint sein soll, sondern unmittelbar in der Anschauung      
  25 darstellen, ist nichts anders, als dessen Vorstellung auf Erfahrung (es sei      
  26 wirkliche oder doch mögliche) beziehen. Selbst der Raum und die Zeit, so      
  27 rein diese Begriffe auch von allem Empirischen sind, und so gewiß es auch      
  28 ist, daß sie völlig a priori im Gemüthe vorgestellt werden, würden doch      
  29 ohne objective Gültigkeit und ohne Sinn und Bedeutung sein, wenn ihr      
  30 nothwendiger Gebrauch an den Gegenständen der Erfahrung nicht gezeigt      
  31 würde, ja ihre Vorstellung ist ein bloßes Schema, das sich immer auf die      
  32 reproductive Einbildungskraft bezieht, welche die Gegenstände der Erfahrung      
  33 herbei ruft, ohne die sie keine Bedeutung haben würden; und so ist      
  34 es mit allen Begriffen ohne Unterschied.      
           
  35 Die Möglichkeit der Erfahrung ist also das, was allen unsern      
  36 Erkenntnissen a priori objective Realität giebt. Nun beruht Erfahrung      
  37 auf der synthetischen Einheit der Erscheinungen, d. i. auf einer Synthesis      
           
     

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