Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 093

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 aus dem Verstande selbst herkommen und nicht von der Erfahrung entlehnt      
  02 sind, sondern vielmehr den Erscheinungen ihre Gesetzmäßigkeit verschaffen      
  03 und eben dadurch Erfahrung möglich machen müssen. Es ist also      
  04 der Verstand nicht blos ein Vermögen, durch Vergleichung der Erscheinungen      
  05 sich Regeln zu machen: er ist selbst die Gesetzgebung für die Natur,      
  06 d. i. ohne Verstand würde es überall nicht Natur, d. i. synthetische Einheit      
  07 des Mannigfaltigen der Erscheinungen nach Regeln, geben; denn Erscheinungen      
  08 können als solche nicht außer uns statt finden, sondern existiren      
  09 nur in unsrer Sinnlichkeit. Diese aber als Gegenstand der Erkenntniß      
  10 in einer Erfahrung mit allem, was sie enthalten mag, ist nur in der      
  11 Einheit der Apperception möglich. Die Einheit der Apperception aber      
  12 ist der transscendentale Grund der nothwendigen Gesetzmäßigkeit aller      
  13 Erscheinungen in einer Erfahrung. Eben dieselbe Einheit der Apperception      
  14 in Ansehung eines Mannigfaltigen von Vorstellungen (es nämlich      
  15 aus einer einzigen zu bestimmen) ist die Regel und das Vermögen      
  16 dieser Regeln der Verstand. Alle Erscheinungen liegen also als mögliche      
  17 Erfahrungen eben so a priori im Verstande und erhalten ihre formale      
  18 Möglichkeit von ihm, wie sie als bloße Anschauungen in der Sinnlichkeit      
  19 liegen und durch dieselbe der Form nach allein möglich sind.      
           
  20 So übertrieben, so widersinnisch es also auch lautet, zu sagen: der      
  21 Verstand ist selbst der Quell der Gesetze der Natur und mithin der formalen      
  22 Einheit der Natur, so richtig und dem Gegenstande, nämlich der      
  23 Erfahrung, angemessen ist gleichwohl eine solche Behauptung. Zwar      
  24 können empirische Gesetze als solche ihren Ursprung keinesweges vom      
  25 reinen Verstande herleiten, so wenig als die unermeßliche Mannigfaltigkeit      
  26 der Erscheinungen aus der reinen Form der sinnlichen Anschauung      
  27 hinlänglich begriffen werden kann. Aber alle empirische Gesetze sind nur      
  28 besondere Bestimmungen der reinen Gesetze des Verstandes, unter welchen      
  29 und nach deren Norm jene allererst möglich sind, und die Erscheinungen      
  30 eine gesetzliche Form annehmen, so wie auch alle Erscheinungen unerachtet      
  31 der Verschiedenheit ihrer empirischen Form dennoch jederzeit den Bedingungen      
  32 der reinen Form der Sinnlichkeit gemäß sein müssen.      
           
  33 Der reine Verstand ist also in den Kategorien das Gesetz der synthetischen      
  34 Einheit aller Erscheinungen und macht dadurch Erfahrung ihrer      
  35 Form nach allererst und ursprünglich möglich. Mehr aber hatten wir in      
  36 der transscendentalen Deduction der Kategorien nicht zu leisten, als      
  37 dieses Verhältniß des Verstandes zur Sinnlichkeit und vermittelst derselben      
           
     

[ Seite 092 ] [ Seite 094 ] [ Inhaltsverzeichnis ]