Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 053

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 sich kein allgemeines Kennzeichen verlangen, weil es in sich selbst widersprechend      
  02 ist.      
           
  03 Was aber das Erkenntniß der bloßen Form nach (mit Beiseitesetzung      
  04 alles Inhalts) betrifft, so ist eben so klar: daß eine Logik, so fern sie die      
  05 allgemeine und nothwendige Regeln des Verstandes vorträgt, eben in      
  06 diesen Regeln Kriterien der Wahrheit darlegen müsse. Denn was diesen      
  07 widerspricht, ist falsch, weil der Verstand dabei seinen allgemeinen Regeln      
  08 des Denkens, mithin sich selbst widerstreitet. Diese Kriterien aber betreffen      
  09 nur die Form der Wahrheit, d. i. des Denkens überhaupt, und sind      
  10 so fern ganz richtig, aber nicht hinreichend. Denn obgleich eine Erkenntniß      
  11 der logischen Form völlig gemäß sein möchte, d. i. sich selbst nicht      
  12 widerspräche, so kann sie doch noch immer dem Gegenstande widersprechen.      
  13 Also ist das blos logische Kriterium der Wahrheit, nämlich die Übereinstimmung      
  14 einer Erkenntniß mit den allgemeinen und formalen Gesetzen      
  15 des Verstandes und der Vernunft, zwar die conditio sine qua non , mithin      
  16 die negative Bedingung aller Wahrheit; weiter aber kann die Logik      
  17 nicht gehen, und den Irrthum, der nicht die Form, sondern den Inhalt      
  18 trifft, kann die Logik durch keinen Probirstein entdecken.      
           
  19 Die allgemeine Logik löset nun das ganze formale Geschäfte des Verstandes      
  20 und der Vernunft in seine Elemente auf und stellt sie als Principien      
  21 aller logischen Beurtheilung unserer Erkenntniß dar. Dieser Theil      
  22 der Logik kann daher Analytik heißen und ist eben darum der wenigstens      
  23 negative Probirstein der Wahrheit, indem man zuvörderst alle Erkenntniß      
  24 ihrer Form nach an diesen Regeln prüfen und schätzen muß, ehe      
  25 man sie selbst ihrem Inhalt nach untersucht, um auszumachen, ob sie in      
  26 Ansehung des Gegenstandes positive Wahrheit enthalten, weil aber die      
  27 bloße Form des Erkenntnisses, so sehr sie auch mit logischen Gesetzen übereinstimmen      
  28 mag, noch lange nicht hinreicht, materielle (objective) Wahrheit      
  29 dem Erkenntnisse darum auszumachen, so kann sich niemand blos mit      
  30 der Logik wagen, über Gegenstände zu urtheilen und irgend etwas zu behaupten,      
  31 ohne von ihnen vorher gegründete Erkundigung außer der Logik      
  32 eingezogen zu haben, um hernach blos die Benutzung und die Verknüpfung      
  33 derselben in einem zusammenhängenden Ganzen nach logischen Gesetzen      
  34 zu versuchen, noch besser aber, sie lediglich darnach zu prüfen. Gleichwohl      
  35 liegt so etwas Verleitendes in dem Besitze einer so scheinbarer Kunst,      
  36 allen unseren Erkenntnissen die Form des Verstandes zu geben, ob man      
  37 gleich in Ansehung des Inhalts derselben noch sehr leer und arm sein mag,      
           
     

[ Seite 052 ] [ Seite 054 ] [ Inhaltsverzeichnis ]