Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 040

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 wirklich die Vorstellung von der Zeit und meinen Bestimmungen in ihr.      
  02 Sie ist also wirklich, nicht als Object, sondern als die Vorstellungsart      
  03 meiner selbst als Objects anzusehen. Wenn aber ich selbst, oder ein ander      
  04 Wesen mich ohne diese Bedingung der Sinnlichkeit anschauen könnte, so      
  05 würden eben dieselben Bestimmungen, die wir uns jetzt als Veränderungen      
  06 vorstellen, eine Erkenntniß geben, in welcher die Vorstellung der Zeit,      
  07 mithin auch der Veränderung gar nicht vorkäme. Es bleibt also ihre      
  08 empirische Realität als Bedingung aller unsrer Erfahrungen. Nur die      
  09 absolute Realität kann ihr nach dem oben Angeführten nicht zugestanden      
  10 werden. Sie ist nichts, als die Form unsrer inneren Anschauung.*)      
  11 Wenn man von ihr die besondere Bedingung unserer Sinnlichkeit wegnimmt,      
  12 so verschwindet auch der Begriff der Zeit, und sie hängt nicht an      
  13 den Gegenständen selbst, sondern blos am Subjecte, welches sie anschauet.      
           
  14 Die Ursache aber, weswegen dieser Einwurf so einstimmig gemacht      
  15 wird und zwar von denen, die gleichwohl gegen die Lehre von der Idealität      
  16 des Raumes nichts Einleuchtendes einzuwenden wissen, ist diese. Die      
  17 absolute Realität des Raumes hofften sie nicht apodiktisch darthun zu      
  18 können, weil ihnen der Idealismus entgegen steht, nach welchem die      
  19 Wirklichkeit äußerer Gegenstände keines strengen Beweises fähig ist: dagegen      
  20 die des Gegenstandes unserer innern Sinnen (meiner selbst und      
  21 meines Zustandes) unmittelbar durchs Bewußtsein klar ist. Jene konnten      
  22 ein bloßer Schein sein, dieser aber ist ihrer Meinung nach unleugbar      
  23 etwas Wirkliches. Sie bedachten aber nicht, daß beide, ohne daß man      
  24 ihre Wirklichkeit als Vorstellungen bestreiten darf, gleichwohl nur zur Erscheinung      
  25 gehören, welche jederzeit zwei Seiten hat, die eine, da das Object      
  26 an sich selbst betrachtet wird (unangesehen der Art, dasselbe anzuschauen,      
  27 dessen Beschaffenheit aber eben darum jederzeit problematisch      
  28 bleibt), die andere, da auf die Form der Anschauung dieses Gegenstandes      
  29 gesehen wird, welche nicht in dem Gegenstande an sich selbst, sondern im      
  30 Subjecte, dem derselbe erscheint, gesucht werden muß, gleichwohl aber der      
  31 Erscheinung dieses Gegenstandes wirklich und nothwendig zukommt.      
           
  32 Zeit und Raum sind demnach zwei Erkenntnißquellen, aus denen a priori      
           
    *) Ich kann zwar sagen: meine Vorstellungen folgen einander; aber das heißt nur: wir sind uns ihrer als in einer Zeitfolge, d. i. nach der Form des innern Sinnes, bewußt. Die Zeit ist darum nicht etwas an sich selbst, auch keine den Dingen objectiv anhängende Bestimmung.      
           
     

[ Seite 039 ] [ Seite 041 ] [ Inhaltsverzeichnis ]