Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 030

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 In der Erscheinung nenne ich das, was der Empfindung correspondirt,      
  02 die Materie derselben, dasjenige aber, welches macht, daß das      
  03 Mannigfaltige der Erscheinung, in gewissen Verhältnissen geordnet, angeschauet      
  04 wird, nenne ich die Form der Erscheinung. Da das, worin sich      
  05 die Empfindungen allein ordnen und in gewisse Form gestellt werden      
  06 können, nicht selbst wiederum Empfindung sein kann, so ist uns zwar die      
  07 Materie aller Erscheinung nur a posteriori gegeben, die Form derselben      
  08 aber muß zu ihnen insgesammt im Gemüthe a priori bereit liegen und      
  09 daher abgesondert von aller Empfindung können betrachtet werden.      
           
  10 Ich nenne alle Vorstellungen rein (im transscendentalen Verstande),      
  11 in denen nichts, was zur Empfindung gehört, angetroffen wird. Demnach      
  12 wird die reine Form sinnlicher Anschauungen überhaupt im Gemüthe      
  13 a priori angetroffen werden, worin alles Mannigfaltige der Erscheinungen      
  14 in gewissen Verhältnissen angeschauet wird. Diese reine Form der Sinnlichkeit      
  15 wird auch selber reine Anschauung heißen. So, wenn ich von der      
  16 Vorstellung eines Körpers das, was der Verstand davon denkt, als Substanz,      
  17 Kraft, Theilbarkeit etc., imgleichen was davon zur Empfindung gehört,      
  18 als Undurchdringlichkeit, Härte, Farbe etc., absondere, so bleibt mir      
  19 aus dieser empirischen Anschauung noch etwas übrig, nämlich Ausdehnung      
  20 und Gestalt. Diese gehören zur reinen Anschauung, die a priori, auch      
  21 ohne einen wirklichen Gegenstand der Sinne oder Empfindung, als eine      
  22 bloße Form der Sinnlichkeit im Gemüthe statt findet.      
           
  23 Eine Wissenschaft von allen Principien der Sinnlichkeit a priori      
  24 nenne ich die transscendentale Ästhetik.)* Es muß also eine solche      
  25 Wissenschaft geben, die den ersten Theil der transscendentalen Elementar      
           
    *) Die Deutschen sind die einzige, welche sich jetzt des Worts Ästhetik bedienen, um dadurch das zu bezeichnen, was andre Kritik des Geschmacks heißen. Es liegt hier eine verfehlte Hoffnung zum Grunde, die der vortreffliche Analyst Baumgarten faßte, die kritische Beurtheilung des Schönen unter Vernunftprincipien zu bringen und die Regeln derselben zur Wissenschaft zu erheben. Allein diese Bemühung ist vergeblich. Denn gedachte Regeln oder Kriterien sind ihren Quellen nach blos empirisch und können also niemals zu Gesetzen a priori dienen, wornach sich unser Geschmacksurtheil richten müßte; vielmehr macht das letztere den eigentlichen Probirstein der Richtigkeit der ersteren aus. Um deswillen ist es rathsam, diese Benennung wiederum eingehen zu lassen und sie derjenigen Lehre aufzubehalten, die wahre Wissenschaft ist, wodurch man auch der Sprache und dem Sinne der Alten näher treten würde, bei denen die Eintheilung der Erkenntniß in αισθητα και νοητα sehr berühmt war.      
           
     

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