Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 539 |
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01 | wird. Der scientifische Vernunftbegriff enthält also den Zweck und die | ||||||
02 | Form des Ganzen, das mit demselben congruirt. Die Einheit des Zwecks, | ||||||
03 | worauf sich alle Theile und in der Idee desselben auch unter einander beziehen, | ||||||
04 | macht, daß ein jeder Theil bei der Kenntniß der übrigen vermißt | ||||||
05 | werden kann, und keine zufällige Hinzusetzung, oder unbestimmte Größe | ||||||
06 | der Vollkommenheit, die nicht ihre a priori bestimmte Grenzen habe, stattfindet. | ||||||
07 | Das Ganze ist also gegliedert ( articulatio ) und nicht gehäuft | ||||||
08 | ( coacervatio ); es kann zwar innerlich ( per intussusceptionem ), aber nicht | ||||||
09 | äußerlich ( per appositionem ) wachsen, wie ein thierischer Körper, dessen | ||||||
10 | Wachsthum kein Glied hinzusetzt, sondern ohne Veränderung der Proportion | ||||||
11 | ein jedes zu seinen Zwecken stärker und tüchtiger macht. | ||||||
12 | Die Idee bedarf zur Ausführung ein Schema, d. i. eine a priori | ||||||
13 | aus dem Princip des Zwecks bestimmte wesentliche Mannigfaltigkeit und | ||||||
14 | Ordnung der Theile. Das Schema, welches nicht nach einer Idee, d. i. | ||||||
15 | aus dem Hauptzwecke der Vernunft, sondern empirisch, nach zufällig sich | ||||||
16 | darbietenden Absichten (deren Menge man nicht voraus wissen kann), entworfen | ||||||
17 | wird, giebt technische, dasjenige aber, was nur zu Folge einer | ||||||
18 | Idee entspringt (wo die Vernunft die Zwecke a priori aufgiebt und nicht empirisch | ||||||
19 | erwartet), gründet architektonische Einheit. Nicht technisch wegen | ||||||
20 | der Ähnlichkeit des Mannigfaltigen, oder des zufälligen Gebrauchs | ||||||
21 | der Erkenntniß in concreto zu allerlei beliebigen äußeren Zwecken, sondern | ||||||
22 | architektonisch um der Verwandtschaft willen und der Ableitung von | ||||||
23 | einem einigen obersten und inneren Zwecke, der das ganze allererst möglich | ||||||
24 | macht, kann dasjenige entspringen, was wir Wissenschaft nennen, | ||||||
25 | dessen Schema den Umriß ( monogramma ) und die Eintheilung des Ganzen | ||||||
26 | in Glieder der Idee gemäß, d. i. a priori, enthalten und dieses von | ||||||
27 | allen anderen sicher und nach Principien unterscheiden muß. | ||||||
28 | Niemand versucht es, eine Wissenschaft zu Stande zu bringen, ohne | ||||||
29 | daß ihm eine Idee zum Grunde liege. Allein in der Ausarbeitung derselben | ||||||
30 | entspricht das Schema, ja sogar die Definition, die er gleich zu Anfange | ||||||
31 | von seiner Wissenschaft giebt, sehr selten seiner Idee; denn diese | ||||||
32 | liegt wie ein Keim in der Vernunft, in welchem alle Theile noch sehr eingewickelt | ||||||
33 | und kaum der mikroskopischen Beobachtung kennbar verborgen | ||||||
34 | liegen. Um deswillen muß man Wissenschaften, weil sie doch alle aus dem | ||||||
35 | Gesichtspunkte eines gewissen allgemeinen Interesse ausgedacht werden, | ||||||
36 | nicht nach der Beschreibung, die der Urheber derselben davon giebt, sondern | ||||||
37 | nach der Idee, welche man aus der natürlichen Einheit der Theile, | ||||||
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