Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 511

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 kann, ob es zwar so fern eine einfache Vorstellung ist, zu dem Bewußtsein      
  02 und der Kenntniß eines Dinges überführen solle, in welchem das Denken      
  03 allein enthalten sein kann. Denn wenn ich mir die Kraft meines Körpers      
  04 in Bewegung vorstelle, so ist er so fern für mich absolute Einheit, und      
  05 meine Vorstellung von ihm ist einfach; daher kann ich diese auch durch      
  06 die Bewegung eines Punkts ausdrücken, weil sein Volumen hiebei nichts      
  07 thut und ohne Verminderung der Kraft so klein, wie man will, und also      
  08 auch als in einem Punkte befindlich gedacht werden kann. Hieraus werde      
  09 ich aber doch nicht schließen: daß, wenn mir nichts als die bewegende      
  10 Kraft eines Körpers gegeben ist, der Körper als einfache Substanz gedacht      
  11 werden könne, darum weil seine Vorstellung von aller Größe des      
  12 Raumesinhalts abstrahirt und also einfach ist. Hiedurch nun, daß das      
  13 Einfache in der Abstraction vom Einfachen im Object ganz unterschieden      
  14 ist, und daß das Ich, welches im ersteren Verstande gar keine Mannigfaltigkeit      
  15 in sich faßt, im zweiten, da es die Seele selbst bedeutet, ein sehr      
  16 complexer Begriff sein kann, nämlich sehr vieles unter sich zu enthalten      
  17 und zu bezeichnen, entdecke ich einen Paralogism. Allein um diesen vorher      
  18 zu ahnden (denn ohne eine solche vorläufige Vermuthung würde man      
  19 gar keinen Verdacht gegen den Beweis fassen), ist durchaus nöthig, ein      
  20 immerwährendes Kriterium der Möglichkeit solcher synthetischen Sätze,      
  21 die mehr beweisen sollen, als Erfahrung geben kann, bei Hand zu haben,      
  22 welches darin besteht: daß der Beweis nicht geradezu auf das verlangte      
  23 Prädicat, sondern nur vermittelst eines Princips der Möglichkeit, unseren      
  24 gegebenen Begriff a priori bis zu Ideen zu erweitern und diese zu realisiren,      
  25 geführt werde. Wenn diese Behutsamkeit immer gebraucht wird,      
  26 wenn man, ehe der Beweis noch versucht wird, zuvor weislich bei sich zu      
  27 Rathe geht, wie und mit welchem Grunde der Hoffnung man wohl eine      
  28 solche Erweiterung durch reine Vernunft erwarten könne, und woher man      
  29 in dergleichen Falle diese Einsichten, die nicht aus Begriffen entwickelt      
  30 und auch nicht in Beziehung auf mögliche Erfahrung anticipirt werden      
  31 können, denn hernehmen wolle: so kann man sich viel schwere und dennoch      
  32 fruchtlose Bemühungen ersparen, indem man der Vernunft nichts zumuthet,      
  33 was offenbar über ihr Vermögen geht, oder vielmehr sie, die bei      
  34 Anwandlungen ihrer speculativen Erweiterungssucht sich nicht gerne einschränken      
  35 läßt, der Disciplin der Enthaltsamkeit unterwirft.      
           
  36 Die erste Regel ist also diese: keine transscendentale Beweise zu versuchen,      
  37 ohne zuvor überlegt und sich desfalls gerechtfertigt zu haben, woher      
           
     

[ Seite 510 ] [ Seite 512 ] [ Inhaltsverzeichnis ]