Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 504

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 gar keine Erklärung sein, indem das, was man aus bekannten empirischen      
  02 Principien nicht hinreichend versteht, durch etwas erklärt werden      
  03 würde, davon man gar nichts versteht. Auch würde das Princip einer      
  04 solchen Hypothese eigentlich nur zur Befriedigung der Vernunft und nicht      
  05 zur Beförderung des Verstandesgebrauchs in Ansehung der Gegenstände      
  06 dienen. Ordnung und Zweckmäßigkeit in der Natur muß wiederum aus      
  07 Naturgründen und nach Naturgesetzen erklärt werden, und hier sind selbst      
  08 die wildesten Hypothesen, wenn sie nur physisch sind, erträglicher als eine      
  09 hyperphysische, d. i. die Berufung auf einen göttlichen Urheber, den man      
  10 zu diesem Behuf voraussetzt. Denn das wäre ein Princip der faulen      
  11 Vernunft ( ignava ratio ), alle Ursachen, deren objective Realität, wenigstens      
  12 der Möglichkeit nach, man noch durch fortgesetzte Erfahrung kann      
  13 kennen lernen, auf einmal vorbeizugehen, um in einer bloßen Idee,      
  14 die der Vernunft sehr bequem ist, zu ruhen. Was aber die absolute Totalität      
  15 des Erklärungsgrundes in der Reihe derselben betrifft, so kann      
  16 das keine Hinderniß in Ansehung der Weltobjecte machen, weil, da diese      
  17 nichts als Erscheinungen sind, an ihnen niemals etwas Vollendetes in der      
  18 Synthesis der Reihen von Bedingungen gehofft werden kann.      
           
  19 Transscendentale Hypothesen des speculativen Gebrauchs der Vernunft      
  20 und eine Freiheit, zur Ersetzung des Mangels an physischen Erklärungsgründen      
  21 sich allenfalls hyperphysischer zu bedienen, kann gar nicht      
  22 gestattet werden, theils weil die Vernunft dadurch gar nicht weiter gebracht      
  23 wird, sondern vielmehr den ganzen Fortgang ihres Gebrauchs abschneidet,      
  24 theils weil diese Licenz sie zuletzt um alle Früchte der Bearbeitung ihres      
  25 eigenthümlichen Bodens, nämlich der Erfahrung, bringen müßte. Denn      
  26 wenn uns die Naturerklärung hier oder da schwer wird, so haben wir beständig      
  27 einen transscendenten Erklärungsgrund bei der Hand, der uns      
  28 jener Untersuchung überhebt, und unsere Nachforschung schließt nicht durch      
  29 Einsicht, sondern durch gänzliche Unbegreiflichkeit eines Princips, welches      
  30 so schon zum voraus ausgedacht war, daß es den Begriff des absolut Ersten      
  31 enthalten mußte.      
           
  32 Das zweite erforderliche Stück zur Annehmungswürdigkeit einer Hypothese      
  33 ist die Zulänglichkeit derselben, um daraus a priori die Folgen,      
  34 welche gegeben sind, zu bestimmen. Wenn man zu diesem Zwecke hülfleistende      
  35 Hypothesen herbeizurufen genöthigt ist, so geben sie den Verdacht      
           
     

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