Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 499 |
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01 | also die Streitigkeit über die rechtsame der menschlichen Vernunft niemals | ||||||
02 | zu Ende bringen. | ||||||
03 | Da Hume vielleicht der geistreichste unter allen Sceptikern und ohne | ||||||
04 | Widerrede der vorzüglichste in Ansehung des Einflusses ist, den das sceptische | ||||||
05 | Verfahren auf die Erweckung einer gründlichen Vernunftprüfung | ||||||
06 | haben kann, so verlohnt es sich wohl der Mühe, den Gang seiner Schlüsse | ||||||
07 | und die Verirrungen eines so einsehenden und schätzbaren Mannes, die | ||||||
08 | doch auf der Spur der Wahrheit angefangen haben, so weit es zu meiner | ||||||
09 | Absicht schicklich ist, vorstellig zu machen. | ||||||
10 | Hume hatte es vielleicht in Gedanken, wiewohl er es niemals völlig | ||||||
11 | entwickelte, daß wir in Urtheilen von gewisser Art über unsern Begriff | ||||||
12 | vom Gegenstande hinausgehen. Ich habe diese Art von Urtheilen synthetisch | ||||||
13 | genannt. Wie ich aus meinem Begriffe, den ich bis dahin habe, | ||||||
14 | vermittelst der Erfahrung hinausgehen könne, ist keiner Bedenklichkeit | ||||||
15 | unterworfen. Erfahrung ist selbst eine solche Synthesis der Wahrnehmungen, | ||||||
16 | welche meinen Begriff, den ich vermittelst einer Wahrnehmung habe, | ||||||
17 | durch andere, hinzukommende vermehrt. Allein wir glauben auch a priori | ||||||
18 | aus unserem Begriffe hinausgehen und unser Erkenntniß erweitern zu | ||||||
19 | können. Dieses versuchen wir entweder durch den reinen Verstand in Ansehung | ||||||
20 | desjenigen, was wenigstens ein Object der Erfahrung sein | ||||||
21 | kann, oder sogar durch reine Vernunft in Ansehung solcher Eigenschaften | ||||||
22 | der Dinge, oder auch wohl des Daseins solcher Gegenstände, die in der | ||||||
23 | Erfahrung niemals vorkommen können. Unser Sceptiker unterschied diese | ||||||
24 | beiden Arten der Urtheile nicht, wie er es doch hätte thun sollen, und hielt | ||||||
25 | geradezu diese Vermehrung der Begriffe aus sich selbst und so zu sagen | ||||||
26 | die Selbstgebärung unseres Verstandes (samt der Vernunft), ohne | ||||||
27 | durch Erfahrung geschwängert zu sein, für unmöglich, mithin alle vermeintliche | ||||||
28 | Principien derselben a priori für eingebildet und fand, daß sie | ||||||
29 | nichts als eine aus Erfahrung und deren Gesetzen entspringende Gewohnheit, | ||||||
30 | mithin bloß empirische, d. i. an sich zufällige, Regeln seien, denen | ||||||
31 | wir eine vermeinte Nothwendigkeit und Allgemeinheit beimessen. Er bezog | ||||||
32 | sich aber zu Behauptung dieses befremdlichen Satzes auf den allgemein | ||||||
33 | anerkannten Grundsatz von dem Verhältniß der Ursache zur Wirkung. | ||||||
34 | Denn da uns kein Verstandesvermögen von dem Begriffe eines | ||||||
35 | Dinges zu dem Dasein von etwas anderem, was dadurch allgemein und | ||||||
36 | nothwendig gegeben sei, führen kann: so glaubte er daraus folgern zu | ||||||
37 | können, daß wir ohne Erfahrung nichts haben, was unsern Begriff vermehren | ||||||
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