Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 498 |
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01 | Bestimmung der Verhältnisse, welche unter den Verstandesbegriffen | ||||||
02 | innerhalb dieser Sphäre vorkommen können. | ||||||
03 | Wir sind wirklich im Besitz synthetischer Erkenntniß a priori, wie | ||||||
04 | dieses die Verstandesgrundsätze, welche die Erfahrung anticipiren, darthun. | ||||||
05 | Kann jemand nun die Möglichkeit derselben sich gar nicht begreiflich | ||||||
06 | machen, so mag er zwar anfangs zweifeln, ob sie uns auch wirklich a priori | ||||||
07 | beiwohnen; er kann dieses aber noch nicht für eine Unmöglichkeit derselben | ||||||
08 | durch bloße Kräfte des Verstandes und alle Schritte, die die Vernunft | ||||||
09 | nach der Richtschnur derselben thut, für nichtig ausgeben. Er kann nur | ||||||
10 | sagen: wenn wir ihren Ursprung und Ächtheit einsähen, so würden wir | ||||||
11 | den Umfang und die Grenzen unserer Vernunft bestimmen können; ehe | ||||||
12 | aber dieses geschehen ist, sind alle Behauptungen der letzten blindlings | ||||||
13 | gewagt. Und auf solche Weise wäre ein durchgängiger Zweifel an aller | ||||||
14 | dogmatischen Philosophie, die ohne Kritik der Vernunft selbst ihren Gang | ||||||
15 | geht, ganz wohl gegründet; allein darum könnte doch der Vernunft nicht | ||||||
16 | ein solcher Fortgang, wenn er durch bessere Grundlegung vorbereitet und | ||||||
17 | gesichert würde, gänzlich abgesprochen werden. Denn einmal liegen alle | ||||||
18 | Begriffe, ja alle Fragen, welche uns die reine Vernunft vorlegt, nicht etwa | ||||||
19 | in der Erfahrung, sondern selbst wiederum nur in der Vernunft und | ||||||
20 | müssen daher können aufgelöset und ihrer Gültigkeit oder Richtigkeit nach | ||||||
21 | begriffen werden. Wir sind auch nicht berechtigt, diese Aufgaben, als läge | ||||||
22 | ihre Auflösung wirklich in der Natur der Dinge, doch unter dem Vorwande | ||||||
23 | unseres Unvermögens abzuweisen und uns ihrer weiteren Nachforschung | ||||||
24 | zu weigern, da die Vernunft in ihrem Schooße allein diese Ideen | ||||||
25 | selbst erzeugt hat, von deren Gültigkeit oder dialektischem Scheine sie also | ||||||
26 | Rechenschaft zu geben gehalten ist. | ||||||
27 | Alles sceptische Polemisiren ist eigentlich nur wider den Dogmatiker | ||||||
28 | gekehrt, der, ohne ein Mißtrauen auf seine ursprüngliche objective Principien | ||||||
29 | zu setzen, d. i. ohne Kritik, gravitätisch seinen Gang fortsetzt, bloß um | ||||||
30 | ihm das Concept zu verrücken und ihn zur Selbsterkenntniß zu bringen. | ||||||
31 | An sich macht sie in Ansehung dessen, was wir wissen und was wir dagegen | ||||||
32 | nicht wissen können, ganz und gar nichts aus. Alle fehlgeschlagene | ||||||
33 | dogmatische Versuche der Vernunft sind Facta , die der Censur zu unterwerfen | ||||||
34 | immer nützlich ist. Dieses aber kann nichts über die Erwartungen | ||||||
35 | der Vernunft entscheiden, einen besseren Erfolg ihrer künftigen Bemühungen | ||||||
36 | zu hoffen und darauf Ansprüche zu machen; die bloße Censur kann | ||||||
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