Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 496 |
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01 | Scheine gemäß) als einen Teller vorstelle, so kann ich nicht wissen, wie | ||||||
02 | weit sie sich erstrecke. Aber das lehrt mich die Erfahrung: daß, wohin ich | ||||||
03 | nur komme, ich immer einen Raum um mich sehe, dahin ich weiter fortgehen | ||||||
04 | könnte; mithin erkenne ich Schranken meiner jedesmal wirklichen | ||||||
05 | Erdkunde, aber nicht die Grenzen aller möglichen Erdbeschreibung. Bin | ||||||
06 | ich aber doch soweit gekommen, zu wissen, daß die Erde eine Kugel und | ||||||
07 | ihre Fläche eine Kugelfläche sei, so kann ich auch aus einem kleinen Theil | ||||||
08 | derselben, z. B. der Größe eines Grades, den Durchmesser und durch diesen | ||||||
09 | die völlige Begrenzung der Erde, d. i. ihre Oberfläche, bestimmt und | ||||||
10 | nach Principien a priori erkennen; und ob ich gleich in Ansehung der Gegenstände, | ||||||
11 | die diese Fläche enthalten mag, unwissend bin, so bin ich es | ||||||
12 | doch nicht in Ansehung des Umfanges, den sie enthält, der Größe und | ||||||
13 | Schranken derselben. | ||||||
14 | Der Inbegriff aller möglichen Gegenstände für unsere Erkenntniß | ||||||
15 | scheint uns eine ebene Fläche zu sein, die ihren scheinbaren Horizont hat, | ||||||
16 | nämlich das, was den ganzen Umfang derselben befaßt, und ist von uns der | ||||||
17 | Vernunftbegriff der unbedingten Totalität genannt worden. Empirisch | ||||||
18 | denselben zu erreichen, ist unmöglich, und nach einem gewissen Princip ihn | ||||||
19 | a priori zu bestimmen, dazu sind alle Versuche vergeblich gewesen. Indessen | ||||||
20 | gehen doch alle Fragen unserer reinen Vernunft auf das, was | ||||||
21 | außerhalb diesem Horizonte, oder allenfalls auch in seiner Grenzlinie liegen | ||||||
22 | möge. | ||||||
23 | Der berühmte David Hume war einer dieser Geographen der | ||||||
24 | menschlichen Vernunft, welcher jene Fragen insgesammt dadurch hinreichend | ||||||
25 | abgefertigt zu haben vermeinte, daß er sie außerhalb dem Horizont | ||||||
26 | derselben verwies, den er doch nicht bestimmen konnte. Er hielt sich vornehmlich | ||||||
27 | bei dem Grundsatze der Causalität auf und bemerkte von ihm | ||||||
28 | ganz richtig, daß man seine Wahrheit (ja nicht einmal die objective Gültigkeit | ||||||
29 | des Begriffs einer wirkenden Ursache überhaupt) auf gar keine | ||||||
30 | Einsicht, d. i. Erkenntniß a priori, fuße, daß daher auch nicht im mindesten | ||||||
31 | die Nothwendigkeit dieses Gesetzes, sondern eine bloße allgemeine | ||||||
32 | Brauchbarkeit desselben in dem Laufe der Erfahrung und eine daher entspringende | ||||||
33 | subjective Nothwendigkeit, die er Gewohnheit nennt, sein ganzes | ||||||
34 | Ansehen ausmache. Aus dem Unvermögen unserer Vernunft nun, | ||||||
35 | von diesem Grundsatze einen über alle Erfahrung hinausgehenden Gebrauch | ||||||
36 | zu machen, schloß er die Nichtigkeit aller Anmaßungen der Vernunft | ||||||
37 | überhaupt, über das Empirische hinauszugehen. | ||||||
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