Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 482 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | welche, wie der Ausdruck es schon anzeigt, in der Anschauung | ||||||
02 | des Gegenstandes fortgehen. | ||||||
03 | Aus allem diesem folgt nun, daß es sich für die Natur der Philosophie | ||||||
04 | gar nicht schicke, vornehmlich im Felde der reinen Vernunft, mit | ||||||
05 | einem dogmatischen Gange zu strotzen und sich mit den Titeln und Bändern | ||||||
06 | der Mathematik auszuschmücken, in deren Orden sie doch nicht gehört, ob | ||||||
07 | sie zwar auf schwesterliche Vereinigung mit derselben zu hoffen alle Ursache | ||||||
08 | hat. Jene sind eitele Anmaßungen, die niemals gelingen können, vielmehr | ||||||
09 | ihre Absicht rückgängig machen müssen, die Blendwerke einer ihre | ||||||
10 | Grenzen verkennenden Vernunft zu entdecken und vermittelst hinreichender | ||||||
11 | Aufklärung unserer Begriffe den Eigendünkel der Speculation auf das | ||||||
12 | bescheidene, aber gründliche Selbsterkenntniß zurückzuführen. Die Vernunft | ||||||
13 | wird also in ihren transscendentalen Versuchen nicht so zuversichtlich | ||||||
14 | vor sich hinsehen können, gleich als wenn der Weg, den sie zurückgelegt | ||||||
15 | hat, so ganz gerade zum Ziele führe, und auf ihre zum Grunde gelegte | ||||||
16 | Prämissen nicht so muthig rechnen können, daß es nicht nöthig wäre, | ||||||
17 | öfters zurück zu sehen und Acht zu haben, ob sich nicht etwa im Fortgange | ||||||
18 | der Schlüsse Fehler entdecken, die in den Principien übersehen worden und | ||||||
19 | es nöthig machen, sie entweder mehr zu bestimmen, oder ganz abzuändern. | ||||||
20 | Ich theile alle apodiktische Sätze (sie mögen nun erweislich oder auch | ||||||
21 | unmittelbar gewiß sein) in Dogmata und Mathemata ein. Ein direct | ||||||
22 | synthetischer Satz aus Begriffen ist ein Dogma; hingegen ein dergleichen | ||||||
23 | Satz durch Construction der Begriffe ist ein Mathema. Analytische | ||||||
24 | Urtheile lehren uns eigentlich nichts mehr vom Gegenstande, als was | ||||||
25 | der Begriff, den wir von ihm haben, schon in sich enthält, weil sie die Erkenntniß | ||||||
26 | über den Begriff des Subjects nicht erweitern, sondern diesen | ||||||
27 | nur erläutern. Sie können daher nicht füglich Dogmen heißen (welches | ||||||
28 | Wort man vielleicht durch Lehrsprüche übersetzen könnte). Aber unter | ||||||
29 | den gedachten zwei Arten synthetischer Sätze a priori können nach dem | ||||||
30 | gewöhnlichen Redegebrauch nur die zum philosophischen Erkenntnisse gehörige | ||||||
31 | diesen Namen führen, und man würde schwerlich die Sätze der Rechenkunst | ||||||
32 | oder Geometrie Dogmata nennen. Also bestätigt dieser Gebrauch | ||||||
33 | die Erklärung, die wir gaben, daß nur Urtheile aus Begriffen und | ||||||
34 | nicht die aus der Construction der Begriffe dogmatisch heißen können. | ||||||
35 | Nun enthält die ganze reine Vernunft in ihrem bloß speculativen | ||||||
[ Seite 481 ] [ Seite 483 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |