Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 456 |
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| 01 | denn angewiesen sein, sie zu suchen und auf der Stufenleiter derselben sich | ||||||
| 02 | der höchsten Vollkommenheit eines Urhebers als einer schlechterdings nothwendigen | ||||||
| 03 | mithin a priori erkennbaren Vollkommenheit zu nähern? Das | ||||||
| 04 | regulative Princip verlangt, die systematische Einheit als Natureinheit, | ||||||
| 05 | welche nicht bloß empirisch erkannt, sondern a priori, obzwar noch unbestimmt, | ||||||
| 06 | vorausgesetzt wird, schlechterdings, mithin als aus dem Wesen der | ||||||
| 07 | Dinge folgend vorauszusetzen. Lege ich aber zuvor ein höchstes ordnendes | ||||||
| 08 | Wesen zum Grunde, so wird die Natureinheit in der That aufgehoben. | ||||||
| 09 | Denn sie ist der Natur der Dinge ganz fremd und zufällig und kann auch | ||||||
| 10 | nicht aus allgemeinen Gesetzen derselben erkannt werden. Daher entspringt | ||||||
| 11 | ein fehlerhafter Cirkel im Beweisen, da man das voraussetzt, was eigentlich | ||||||
| 12 | hat bewiesen werden sollen. | ||||||
| 13 | Das regulative Princip der systematischen Einheit der Natur für ein | ||||||
| 14 | constitutives nehmen und, was nur in der Idee zum Grunde des einhelligen | ||||||
| 15 | Gebrauchs der Vernunft gelegt wird, als Ursache hypostatisch | ||||||
| 16 | voraussetzen, heißt nur die Vernunft verwirren. Die Naturforschung geht | ||||||
| 17 | ihren Gang ganz allein an der Kette der Naturursachen nach allgemeinen | ||||||
| 18 | Gesetzen derselben, zwar nach der Idee eines Urhebers, aber nicht um die | ||||||
| 19 | Zweckmäßigkeit, der sie allerwärts nachgeht, von demselben abzuleiten, | ||||||
| 20 | sondern sein Dasein aus dieser Zweckmäßigkeit, die in den Wesen der Naturdinge | ||||||
| 21 | gesucht wird, wo möglich auch in den Wesen aller Dinge überhaupt, | ||||||
| 22 | mithin als schlechthin nothwendig zu erkennen. Das letztere mag | ||||||
| 23 | nun gelingen oder nicht, so bleibt die Idee immer richtig und eben sowohl | ||||||
| 24 | auch deren Gebrauch, wenn er auf die Bedingungen eines bloß regulativen | ||||||
| 25 | Princips restringirt worden. | ||||||
| 26 | Vollständige zweckmäßige Einheit ist Vollkommenheit (schlechthin betrachtet). | ||||||
| 27 | Wenn wir diese nicht in dem Wesen der Dinge, welche den ganzen | ||||||
| 28 | Gegenstand der Erfahrung, d. i. aller unserer objectivgültigen Erkenntniß, | ||||||
| 29 | ausmachen, mithin in allgemeinen und nothwendigen Naturgesetzen finden, | ||||||
| 30 | wie wollen wir daraus gerade auf die Idee einer höchsten und schlechthin | ||||||
| 31 | nothwendigen Vollkommenheit eines Urwesens schließen, welches der Ursprung | ||||||
| 32 | aller Causalität ist? Die größte systematische, folglich auch die | ||||||
| 33 | zweckmäßige Einheit ist die Schule und selbst die Grundlage der Möglichkeit | ||||||
| 34 | des größten Gebrauchs der Menschenvernunft. Die Idee derselben | ||||||
| 35 | ist also mit dem Wesen unserer Vernunft unzertrennlich verbunden. Eben | ||||||
| 36 | dieselbe Idee ist also für uns gesetzgebend, und so ist es sehr natürlich, eine | ||||||
| 37 | ihr correspondirende gesetzgebende Vernunft ( intellectus archetypus ) | ||||||
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