Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 453

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 wir auf diesem Wege eine Menge von Entdeckungen machen. Bleiben wir      
  02 nur bei dieser Voraussetzung als einem bloß regulativen Princip, so      
  03 kann selbst der Irrthum uns nicht schaden. Denn es kann allenfalls daraus      
  04 nichts weiter folgen, als daß, wo wir einen teleologischen Zusammenhang      
  05 ( nexus finalis ) erwarteten, ein bloß mechanischer oder physischer      
  06 ( nexus effectivus ) angetroffen werde, wodurch wir in einem solchen Falle      
  07 nur eine Einheit mehr vermissen, aber nicht die Vernunfteinheit in ihrem      
  08 empirischen Gebrauche verderben. Aber sogar dieser Querstrich kann das      
  09 Gesetz selbst in allgemeiner und teleologischer Absicht überhaupt nicht      
  10 treffen. Denn obzwar ein Zergliederer eines Irrthumes überführt werden      
  11 kann, wenn er irgend ein Gliedmaß eines thierischen Körpers auf      
  12 einen Zweck bezieht, von welchem man deutlich zeigen kann, daß er daraus      
  13 nicht erfolge: so ist es doch gänzlich unmöglich, in einem Falle zu      
  14 beweisen, daß eine Natureinrichtung, es mag sein welche es wolle,      
  15 ganz und gar keinen Zweck habe. Daher erweitert auch die Physiologie      
  16 (der Ärzte) ihre sehr eingeschränkte empirische Kenntniß von den Zwecken      
  17 des Gliederbaues eines organischen Körpers durch einen Grundsatz, welchen      
  18 bloß reine Vernunft eingab, so weit, daß man darin ganz dreist und      
  19 zugleich mit aller Verständigen Einstimmung annimmt, es habe alles an      
  20 dem Thiere seinen Nutzen und gute Absicht; welche Voraussetzung, wenn      
  21 sie constitutiv sein sollte, viel weiter geht, als uns bisherige Beobachtung      
  22 berechtigen kann; woraus denn zu ersehen ist, daß sie nichts als ein regulatives      
  23 Princip der Vernunft sei, um zur höchsten systematischen Einheit      
  24 vermittelst der Idee der zweckmäßigen Causalität der obersten Weltursache,      
  25 und als ob diese als höchste Intelligenz nach der weisesten Absicht die Ursache      
  26 von allem sei, zu gelangen.      
           
  27 Gehen wir aber von dieser Restriction der Idee auf den bloß regulativen      
  28 Gebrauch ab, so wird die Vernunft auf so mancherlei Weise irre      
  29 geführt, indem sie alsdann den Boden der Erfahrung, der doch die Merkzeichen      
  30 ihres Ganges enthalten muß, verläßt und sich über denselben zu      
  31 dem Unbegreiflichen und Unerforschlichen hinwagt, über dessen Höhe sie      
  32 nothwendig schwindlicht wird, weil sie sich aus dem Standpunkte desselben      
  33 von allem mit der Erfahrung stimmigen Gebrauch gänzlich abgeschnitten      
  34 sieht.      
           
  35 Der erste Fehler, der daraus entspringt, daß man die Idee eines      
           
     

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