Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 436 |
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01 | in der Idee vollendet hat; denn alsdann sind alle Mannigfaltigkeiten | ||||||
02 | unter einander verwandt, weil sie insgesammt durch alle Grade der erweiterten | ||||||
03 | Bestimmung von einer einzigen, obersten Gattung abstammen. | ||||||
04 | Man kann sich die systematische Einheit unter den drei logischen Principien | ||||||
05 | auf folgende Art sinnlich machen. Man kann einen jeden Begriff | ||||||
06 | als einen Punkt ansehen, der als der Standpunkt eines Zuschauers seinen | ||||||
07 | Horizont hat, d. i. eine Menge von Dingen, die aus demselben können | ||||||
08 | vorgestellt und gleichsam überschauet werden. Innerhalb diesem Horizonte | ||||||
09 | muß eine Menge von Punkten ins Unendliche angegeben werden können, | ||||||
10 | deren jeder wiederum seinen engeren Gesichtskreis hat; d. i. jede Art enthält | ||||||
11 | Unterarten nach dem Princip der Specification, und der logische Horizont | ||||||
12 | besteht nur aus kleineren Horizonten (Unterarten), nicht aber aus | ||||||
13 | Punkten, die keinen Umfang haben (Individuen). Aber zu verschiedenen | ||||||
14 | Horizonten, d. i. Gattungen, die aus eben so viel Begriffen bestimmt werden, | ||||||
15 | läßt sich ein gemeinschaftlicher Horizont, daraus man sie insgesammt | ||||||
16 | als aus einem Mittelpunkte überschauet, gezogen denken, welcher die höhere | ||||||
17 | Gattung ist, bis endlich die höchste Gattung der allgemeine und wahre | ||||||
18 | Horizont ist, der aus dem Standpunkte des höchsten Begriffs bestimmt | ||||||
19 | wird und alle Mannigfaltigkeit als Gattungen, Arten und Unterarten | ||||||
20 | unter sich befaßt. | ||||||
21 | Zu diesem höchsten Standpunkte führt mich das Gesetz der Homogenität, | ||||||
22 | zu allen niedrigen und deren größten Varietät das Gesetz der | ||||||
23 | Specification. Da aber auf solche Weise in dem ganzen Umfange aller | ||||||
24 | möglichen Begriffe nichts Leeres ist, und außer demselben nichts angetroffen | ||||||
25 | werden kann, so entspringt aus der Voraussetzung jenes allgemeinen | ||||||
26 | Gesichtskreises und der durchgängigen Eintheilung desselben der | ||||||
27 | Grundsatz: non datur vacuum formarum , d. i. es giebt nicht verschiedene | ||||||
28 | ursprüngliche und erste Gattungen, die gleichsam isolirt und von einander | ||||||
29 | (durch einen leeren Zwischenraum) getrennt wären, sondern alle mannigfaltige | ||||||
30 | Gattungen sind nur Abtheilungen einer einzigen, obersten und | ||||||
31 | allgemeinen Gattung; und aus diesem Grundsatze dessen unmittelbare | ||||||
32 | Folge: datur continuum formarum , d. i. alle Verschiedenheiten der | ||||||
33 | Arten grenzen an einander und erlauben keinen Übergang zu einander | ||||||
34 | durch einen Sprung, sondern nur durch alle kleinere Grade des Unterschiedes, | ||||||
35 | dadurch man von einer zu der anderen gelangen kann; mit einem | ||||||
36 | Worte, es giebt keine Arten oder Unterarten, die einander (im Begriffe der | ||||||
37 | Vernunft) die nächsten wären, sondern es sind noch immer Zwischenarten | ||||||
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