Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 422 |
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01 | a priori als schlechterdings nothwendig erkannt wird. Wir werden künftig | ||||||
02 | von den moralischen Gesetzen zeigen, daß sie das Dasein eines höchsten | ||||||
03 | Wesens nicht bloß voraussetzen, sondern auch, da sie in anderweitiger Betrachtung | ||||||
04 | schlechterdings nothwendig sind, es mit Recht, aber freilich nur | ||||||
05 | praktisch postuliren; jetzt setzen wir diese Schlußart noch bei Seite. | ||||||
06 | Da, wenn bloß von dem, was da ist (nicht, was sein soll), die Rede | ||||||
07 | ist, das Bedingte, welches uns in der Erfahrung gegeben wird, jederzeit | ||||||
08 | auch als zufällig gedacht wird, so kann die zu ihm gehörige Bedingung | ||||||
09 | daraus nicht als schlechthin nothwendig erkannt werden, sondern dient nur | ||||||
10 | als eine respectiv nothwendige oder vielmehr nöthige, an sich selbst aber | ||||||
11 | und a priori willkürliche Voraussetzung zum Vernunfterkenntniß des Bedingten. | ||||||
12 | Soll also die absolute Nothwendigkeit eines Dinges im theoretischen | ||||||
13 | Erkenntnisse erkannt werden, so könnte dieses allein aus Begriffen | ||||||
14 | a priori geschehen, niemals aber als einer Ursache in Beziehung auf ein | ||||||
15 | Dasein, das durch Erfahrung gegeben ist. | ||||||
16 | Eine theoretische Erkenntniß ist speculativ, wenn sie auf einen Gegenstand | ||||||
17 | oder solche Begriffe von einem Gegenstande geht, wozu man in | ||||||
18 | keiner Erfahrung gelangen kann. Sie wird der Naturerkenntniß entgegengesetzt, | ||||||
19 | welche auf keine andere Gegenstände oder Prädicate derselben | ||||||
20 | geht, als die in einer möglichen Erfahrung gegeben werden können. | ||||||
21 | Der Grundsatz, von dem, was geschieht, (dem empirisch Zufälligen) als | ||||||
22 | Wirkung auf eine Ursache zu schließen, ist ein Princip der Naturerkenntniß, | ||||||
23 | aber nicht der speculativen. Denn wenn man von ihm als einem | ||||||
24 | Grundsatze, der die Bedingung möglicher Erfahrung überhaupt enthält, | ||||||
25 | abstrahirt und, indem man alles Empirische wegläßt, ihn vom Zufälligen | ||||||
26 | überhaupt aussagen will, so bleibt nicht die mindeste Rechtfertigung eines | ||||||
27 | solchen synthetischen Satzes übrig, um daraus zu ersehen, wie ich von | ||||||
28 | etwas, was da ist, zu etwas davon ganz Verschiedenem (genannt Ursache) | ||||||
29 | übergehen könne; ja der Begriff einer Ursache verliert eben so wie des Zufälligen | ||||||
30 | in solchem bloß speculativen Gebrauche alle Bedeutung, deren objective | ||||||
31 | Realität sich in concreto begreiflich machen lasse. | ||||||
32 | Wenn man nun vom Dasein der Dinge in der Welt auf ihre Ursache | ||||||
33 | schließt, so gehört dieses nicht zum natürlichen, sondern zum speculativen | ||||||
34 | Vernunftgebrauch: weil jener nicht die Dinge selbst (Substanzen), | ||||||
35 | sondern nur das, was geschieht, also ihre Zustände, als empirisch | ||||||
36 | zufällig auf irgend eine Ursache bezieht; daß die Substanz selbst (die | ||||||
37 | Materie) dem Dasein nach zufällig sei, würde ein bloß speculatives Vernunfterkenntniß | ||||||
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