Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 420

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01
Des dritten Hauptstücks
     
           
  02
Siebenter Abschnitt.
     
  03
Kritik aller Theologie aus speculativen Principien
     
  04
der Vernunft.
     
           
  05 Wenn ich unter Theologie die Erkenntniß des Urwesens verstehe, so      
  06 ist sie entweder die aus bloßer Vernunft ( theologia rationalis ) oder aus      
  07 Offenbarung ( revelata ). Die erstere denkt sich nun ihren Gegenstand      
  08 entweder bloß durch reine Vernunft vermittelst lauter transscendentaler      
  09 Begriffe ( ens originarium, realissimum, ens entium ) und heißt die transscendentale      
  10 Theologie, oder durch einen Begriff, den sie aus der Natur      
  11 (unserer Seele) entlehnt, als die höchste Intelligenz und müßte die natürliche      
  12 Theologie heißen. Der, so allein eine transscendentale Theologie      
  13 einräumt, wird Deist, der, so auch eine natürliche Theologie annimmt,      
  14 Theist genannt. Der erstere giebt zu, daß wir allenfalls das Dasein      
  15 eines Urwesens durch bloße Vernunft erkennen können, wovon aber unser      
  16 Begriff bloß transscendental sei, nämlich nur als von einem Wesen, das      
  17 alle Realität hat, die man aber nicht näher bestimmen kann. Der zweite      
  18 behauptet, die Vernunft sei im Stande, den Gegenstand nach der Analogie      
  19 mit der Natur näher zu bestimmen, nämlich als ein Wesen, das durch      
  20 Verstand und Freiheit den Urgrund aller anderen Dinge in sich enthalte.      
  21 Jener stellt sich also unter demselben bloß eine Weltursache (ob durch      
  22 die Nothwendigkeit seiner Natur, oder durch Freiheit, bleibt unentschieden),      
  23 dieser einen Welturheber vor.      
           
  24 Die transscendentale Theologie ist entweder diejenige, welche das      
  25 Dasein des Urwesens von einer Erfahrung überhaupt (ohne über die Welt,      
  26 wozu sie gehört, etwas näher zu bestimmen) abzuleiten gedenkt, und heißt      
  27 Kosmotheologie, oder glaubt durch bloße Begriffe ohne Beihülfe der      
  28 mindesten Erfahrung sein Dasein zu erkennen und wird Ontotheologie      
  29 genannt.      
           
  30 Die natürliche Theologie schließt auf die Eigenschaften und das      
  31 Dasein eines Welturhebers aus der Beschaffenheit, der Ordnung und      
  32 Einheit, die in dieser Welt angetroffen wird, in welcher zweierlei Causalität      
  33 und deren Regel angenommen werden muß, nämlich Natur und Freiheit.      
           
     

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