Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 418

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 auf das Dasein einer ihr proportionirten Ursache. Der Begriff      
  02 dieser Ursache aber muß uns etwas ganz Bestimmtes von ihr zu      
  03 erkennen geben, und er kann also kein anderer sein, als der von einem      
  04 Wesen, das alle Macht, Weisheit etc., mit einem Worte alle Vollkommenheit      
  05 als ein allgenugsames Wesen besitzt. Denn die Prädicate von sehr      
  06 großer, von erstaunlicher, von unermeßlicher Macht und Trefflichkeit      
  07 geben gar keinen bestimmten Begriff und sagen eigentlich nicht, was das      
  08 Ding an sich selbst sei, sondern sind nur Verhältnißvorstellungen von der      
  09 Größe des Gegenstandes, den der Beobachter (der Welt) mit sich selbst      
  10 und seiner Fassungskraft vergleicht, und die gleich hochureisend ausfallen,      
  11 man mag den Gegenstand vergrößern, oder das beobachtende Subject in      
  12 Verhältniß auf ihn kleiner machen. Wo es auf Größe (der Vollkommenheit)      
  13 eines Dinges überhaupt ankommt, da giebt es keinen bestimmten      
  14 Begriff als den, so die ganze mögliche Vollkommenheit begreift, und nur      
  15 das All ( omnitudo ) der Realität ist im Begriffe durchgängig bestimmt.      
           
  16 Nun will ich nicht hoffen, daß sich jemand unterwinden sollte, das      
  17 Verhältniß der von ihm beobachteten Weltgröße (nach Umfang sowohl als      
  18 Inhalt) zur Allmacht, der Weltordnung zur höchsten Weisheit, der Welteinheit      
  19 zur absoluten Einheit des Urhebers etc. einzusehen. Also kann die      
  20 Physikotheologie keinen bestimmten Begriff von der obersten Weltursache      
  21 geben und daher zu einem Princip der Theologie, welches wiederum die      
  22 Grundlage der Religion ausmachen soll, nicht hinreichend sein.      
           
  23 Der Schritt zu der absoluten Totalität ist durch den empirischen Weg      
  24 ganz und gar unmöglich. Nun thut man ihn doch aber im physischtheologischen      
  25 Beweise. Welches Mittels bedient man sich also wohl, über eine      
  26 so weite Kluft zu kommen?      
           
  27 Nachdem man bis zur Bewunderung der Größe der Weisheit, der      
  28 Macht etc. des Welturhebers gelangt ist und nicht weiter kommen kann, so      
  29 verläßt man auf einmal dieses durch empirische Beweisgründe geführte      
  30 Argument und geht zu der gleich anfangs aus der Ordnung und Zweckmäßigkeit      
  31 der Welt geschlossenen Zufälligkeit derselben. Von dieser Zufälligkeit      
  32 allein geht man nun lediglich durch transscendentale Begriffe      
  33 zum Dasein eines Schlechthinnothwendigen und von dem Begriffe der      
  34 absoluten Nothwendigkeit der ersten Ursache auf den durchgängig bestimmten      
  35 oder bestimmenden Begriff desselben, nämlich einer allbefassenden Realität.      
  36 Also blieb der physischtheologische Beweis in seiner Unternehmung      
  37 stecken, sprang in dieser Verlegenheit plötzlich zu dem kosmologischen Beweise      
           
     

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