Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 249

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 man das Übertriebene des Ausdrucks absondert, so ist der Geistesschwung      
  02 des Philosophen, von der copeilichen Betrachtung des Physischen der Weltordnung      
  03 zu der architektonischen Verknüpfung derselben nach Zwecken,      
  04 d. i. nach Ideen, hinaufzusteigen, eine Bemühung, die Achtung und Nachfolge      
  05 verdient; in Ansehung desjenigen aber, was die Principien der      
  06 Sittlichkeit, der Gesetzgebung und der Religion betrifft, wo die Ideen die      
  07 Erfahrung selbst (des Guten) allererst möglich machen, obzwar niemals      
  08 darin völlig ausgedrückt werden können, ein ganz eigenthümliches Verdienst,      
  09 welches man nur darum nicht erkennt, weil man es durch eben die      
  10 empirischen Regeln beurtheilt, deren Gültigkeit als Principien eben durch      
  11 sie hat aufgehoben werden sollen. Denn in Betracht der Natur giebt uns      
  12 Erfahrung die Regel an die Hand und ist der Quell der Wahrheit; in      
  13 Ansehung der sittlichen Gesetze aber ist Erfahrung (leider!) die Mutter des      
  14 Scheins, und es ist höchst verwerflich, die Gesetze über das, was ich thun      
  15 soll, von demjenigen herzunehmen, oder dadurch einschränken zu wollen,      
  16 was gethan wird.      
           
  17 Statt aller dieser Betrachtungen, deren gehörige Ausführung in der      
  18 That die eigenthümliche Würde der Philosophie ausmacht, beschäftigen      
  19 wir uns jetzt mit einer nicht so glänzenden, aber doch auch nicht verdienstlosen      
  20 Arbeit, nämlich: den Boden zu jenen majestätischen sittlichen Gebäuden      
  21 eben und baufest zu machen, in welchem sich allerlei Maulwurfsgänge      
  22 einer vergeblich, aber mit guter Zuversicht auf Schätze grabenden      
  23 Vernunft vorfinden, und die jenes Bauwerk unsicher machen. Der transscendentale      
  24 Gebrauch der reinen Vernunft, ihre Principien und Ideen      
  25 sind es also, welche genau zu kennen uns jetzt obliegt, um den Einfluß der      
  26 reinen Vernunft und den Werth derselben gehörig bestimmen und schätzen      
  27 zu können. Doch, ehe ich diese vorläufige Einleitung bei Seite lege, ersuche      
  28 ich diejenige, denen Philosophie am Herzen liegt (welches mehr gesagt      
  29 ist, als man gemeiniglich antrifft), wenn sie sich durch dieses und      
  30 das Nachfolgende überzeugt finden sollten, den Ausdruck Idee seiner ursprünglichen      
  31 Bedeutung nach in Schutz zu nehmen, damit er nicht fernerhin      
  32 unter die übrigen Ausdrücke, womit gewöhnlich allerlei Vorstellungsarten      
  33 in sorgloser Unordnung bezeichnet werden, gerathe, und die Wissenschaft      
  34 dabei einbüße. Fehlt es uns doch nicht an Benennungen, die jeder      
  35 Vorstellungsart gehörig angemessen sind, ohne daß wir nöthig haben, in      
  36 das Eigenthum einer anderen einzugreifen. Hier ist eine Stufenleiter      
  37 derselben. Die Gattung ist Vorstellung überhaupt ( repraesentatio ).      
           
     

[ Seite 248 ] [ Seite 250 ] [ Inhaltsverzeichnis ]