Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 238 |
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01 | nicht eingesehen. Da nun hier eine Eintheilung der Vernunft in ein | ||||||
02 | logisches und transscendentales Vermögen vorkommt, so muß ein höherer | ||||||
03 | Begriff von dieser Erkenntnißquelle gesucht werden, welcher beide Begriffe | ||||||
04 | unter sich befaßt, indessen wir nach der Analogie mit den Verstandesbegriffen | ||||||
05 | erwarten können, daß der logische Begriff zugleich den Schlüssel | ||||||
06 | zum transscendentalen und die Tafel der Functionen der ersteren zugleich | ||||||
07 | die Stammleiter der Vernunftbegriffe an die Hand geben werde. | ||||||
08 | Wir erklärten im erstern Theile unserer transscendentalen Logik den | ||||||
09 | Verstand durch das Vermögen der Regeln; hier unterscheiden wir die Vernunft | ||||||
10 | von demselben dadurch, daß wir sie das Vermögen der Principien | ||||||
11 | nennen wollen. | ||||||
12 | Der Ausdruck eines Princips ist zweideutig und bedeutet gemeiniglich | ||||||
13 | nur ein Erkenntniß, das als Princip gebraucht werden kann, ob es | ||||||
14 | zwar an sich selbst und seinem eigenen Ursprunge nach kein Principium | ||||||
15 | ist. Ein jeder allgemeine Satz, er mag auch sogar aus Erfahrung (durch | ||||||
16 | Induction) hergenommen sein, kann zum Obersatz in einem Vernunftschlusse | ||||||
17 | dienen; er ist darum aber nicht selbst ein Principium. Die mathematischen | ||||||
18 | Axiomen (z. B. zwischen zwei Punkten kann nur eine gerade | ||||||
19 | Linie sein) sind sogar allgemeine Erkenntnisse a priori und werden daher | ||||||
20 | mit Recht relativisch auf die Fälle, die unter ihnen subsumirt werden | ||||||
21 | können, Principien genannt . Aber ich kann darum doch nicht sagen, daß | ||||||
22 | ich diese Eigenschaft der geraden Linien überhaupt und an sich aus Principien | ||||||
23 | erkenne, sondern nur in der reinen Anschauung. | ||||||
24 | Ich würde daher Erkenntniß aus Principien diejenige nennen, da | ||||||
25 | ich das Besondre im Allgemeinen durch Begriffe erkenne. So ist denn | ||||||
26 | ein jeder Vernunftschluß eine Form der Ableitung einer Erkenntniß aus | ||||||
27 | einem Princip. Denn der Obersatz giebt jederzeit einen Begriff, der da | ||||||
28 | macht, daß alles, was unter der Bedingung desselben subsumirt wird, aus | ||||||
29 | ihm nach einem Princip erkannt wird. Da nun jede allgemeine Erkenntniß | ||||||
30 | zum Obersatze in einem Vernunftschlusse dienen kann, und der Verstand | ||||||
31 | dergleichen allgemeine Sätze a priori darbietet, so können diese denn | ||||||
32 | auch in Ansehung ihres möglichen Gebrauchs Principien genannt werden. | ||||||
33 | Betrachten wir aber diese Grundsätze des reinen Verstandes an sich | ||||||
34 | selbst ihrem Ursprunge nach, so sind sie nichts weniger als Erkenntnisse | ||||||
35 | aus Begriffen. Denn sie würden auch nicht einmal a priori möglich sein, | ||||||
36 | wenn wir nicht die reine Anschauung (in der Mathematik), oder Bedingungen | ||||||
37 | einer möglichen Erfahrung überhaupt herbei zögen. Daß alles, | ||||||
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