Kant: AA II, Von dem ersten Grunde des ... , Seite 377 |
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| 01 | Der berühmte Leibniz besaß viel wirkliche Einsichten, wodurch er | ||||||
| 02 | die Wissenschaften bereicherte, aber noch viel größere Entwürfe zu solchen, | ||||||
| 03 | deren Ausführung die Welt von ihm vergebens erwartet hat. Ob die | ||||||
| 04 | Ursache darin zu setzen: daß ihm seine Versuche noch zu unvollendet schienen, | ||||||
| 05 | eine Bedenklichkeit, welche verdienstvollen Männern eigen ist und die | ||||||
| 06 | der Gelehrsamkeit jederzeit viel schätzbare Fragmente entzogen hat, oder | ||||||
| 07 | ob es ihm gegangen ist, wie Boerhaave von großen Chemisten vermuthet, | ||||||
| 08 | daß sie öfters Kunststücke vorgaben, als wenn sie im Besitze derselben | ||||||
| 09 | wären, da sie eigentlich nur in der Überredung und dem Zutrauen zu | ||||||
| 10 | ihrer Geschicklichkeit standen, daß ihnen die Ausführung derselben nicht | ||||||
| 11 | mißlingen könnte, wenn sie einmal dieselbe übernehmen wollten, das will | ||||||
| 12 | ich hier nicht entscheiden. Zum wenigsten hat es den Anschein, daß eine | ||||||
| 13 | gewisse mathematische Disciplin, welche er zum voraus Analysin situs | ||||||
| 14 | betitelte und deren Verlust unter andern Büffon bei Erwägung der Zusammenfaltungen | ||||||
| 15 | der Natur in den Keimen bedauert hat, wohl niemals | ||||||
| 16 | etwas mehr als ein Gedankending gewesen sei. Ich weiß nicht genau, in | ||||||
| 17 | wie fern der Gegenstand, den ich mir hier zur Betrachtung vorsetze, demjenigen | ||||||
| 18 | verwandt sei, den der gedachte große Mann im Sinne hatte; allein | ||||||
| 19 | nach der Wortbedeutung zu urtheilen, suche ich hier philosophisch den | ||||||
| 20 | ersten Grund der Möglichkeit desjenigen, wovon er die Größen mathematisch | ||||||
| 21 | zu bestimmen vorhabens war. Denn die Lagen der Theile des | ||||||
| 22 | Raums in Beziehung auf einander setzen die Gegend voraus, nach welcher | ||||||
| 23 | sie in solchem Verhältniß geordnet sind, und im abgezogensten Verstande | ||||||
| 24 | besteht die Gegend nicht in der Beziehung eines Dinges im Raume | ||||||
| 25 | auf das andere, welches eigentlich der Begriff der Lage ist, sondern in dem | ||||||
| 26 | Verhältnisse des Systems dieser Lagen zu dem absoluten Weltraume. Bei | ||||||
| 27 | allem Ausgedehnten ist die Lage seiner Theile gegen einander aus ihm | ||||||
| 28 | selbst hinreichend zu erkennen, die Gegend aber, wohin diese Ordnung der | ||||||
| 29 | Theile gerichtet ist, bezieht sich auf den Raum außer demselben und zwar | ||||||
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