Kant: AA II, Träume eines Geistersehers, ... , Seite 344

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Sinne empfinden. Die große Klarheit ihres Hirngespinstes kann hievon      
  02 nicht die Ursache sein, denn es kommt hier auf den Ort an, wohin es als      
  03 ein Gegenstand versetzt ist, und daher verlange ich, daß man zeige, wie      
  04 die Seele ein solches Bild, was sie doch als in sich enthalten vorstellen      
  05 sollte, in ein ganz ander Verhältniß, nämlich in einen Ort äußerlich      
  06 und unter die Gegenstände, versetze, die sich ihrer wirklichen Empfindung      
  07 darbieten. Auch werde ich mich durch die Anführung anderer Fälle, die      
  08 einige Ähnlichkeit mit solcher Täuschung haben und etwa im fieberhaften      
  09 Zustande vorfallen, nicht abfertigen lassen; denn gesund oder krank, wie      
  10 der Zustand des Betrogenen auch sein mag, so will man nicht wissen, ob      
  11 dergleichen auch sonst geschehe, sondern wie dieser Betrug möglich sei.      
           
  12 Wir finden aber bei dem Gebrauch der äußeren Sinne, daß über die      
  13 Klarheit, darin die Gegenstände vorgestellt werden, man in der Empfindung      
  14 auch ihren Ort mit begreife, vielleicht bisweilen nicht allemal mit      
  15 gleicher Richtigkeit, dennoch als eine nothwendige Bedingung der Empfindung,      
  16 ohne welche es unmöglich wäre die Dinge als außer uns vorzustellen.      
  17 Hiebei wird es sehr wahrscheinlich: daß unsere Seele das empfundene      
  18 Object dahin in ihrer Vorstellung versetze, wo die verschiedene Richtungslinien      
  19 des Eindrucks, die dasselbe gemacht hat, wenn sie fortgezogen      
  20 werden, zusammenstoßen. Daher sieht man einen strahlenden Punkt an      
  21 demjenigen Orte, wo die von dem Auge in der Richtung des Einfalls der      
  22 Lichtstrahlen zurückgezogene Linien sich schneiden. Dieser Punkt, welchen      
  23 man den Sehepunkt nennt, ist zwar in der Wirkung der Zerstreuungspunkt,      
  24 aber in der Vorstellung der Sammlungspunkt der Directionslinien,      
  25 nach welchen die Empfindung eingedrückt wird ( focus imaginarius ).      
  26 So bestimmt man selbst durch ein einziges Auge einem sichtbaren Objecte      
  27 den Ort, wie unter andern geschieht, wenn das Spectrum eines Körpers      
  28 vermittelst eines Hohlspiegels in der Luft gesehen wird, gerade da, wo      
  29 die Strahlen, welche aus einem Punkte des Objects ausfließen, sich schneiden,      
  30 ehe sie ins Auge fallen.*)      
           
           
    *) So wird das Urtheil, welches wir von dem scheinbaren Orte naher Gegenstände fällen, in der Sehekunst gemeiniglich vorgestellt, und es stimmt auch sehr gut mit der Erfahrung. Indessen treffen eben dieselbe Lichtstrahlen, die aus einem Punkte auslaufen, vermöge der Brechung in den Augenfeuchtigkeiten nicht divergirend auf den Sehenerven, sondern vereinigen sich daselbst in einem Punkte. Daher, wenn die Empfindung lediglich in diesem Nerven vorgeht, der focus aginarius nicht außer dem Körper, sondern im Boden des Auges gesetzt werden müßte, welches eine [Seitenumbruch] Schwierigkeit macht, die ich jetzt nicht auflösen kann, und die mit den obigen Sätzen sowohl als mit der Erfahrung unvereinbar scheint.      
           
     

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